Hansetochter
die Regeln der Höflichkeit nicht außer Acht lassen. Natürlich habe ich für Euch, mein Freund, und Eure Kinder Gastgeschenke dabei.«
»Nicht doch, dafür ist später noch Zeit«, versuchte Konrad Vresdorp lächelnd abzuwehren.
Adrian Vanderen ließ sich jedoch nicht von seinem Vorhaben abbringen. Mit einem Schlüssel, den er an einer Kette um den Hals trug, öffnete er die Truhe. Er nahm ein Leinenpäckchen heraus und wickelte es mit einer Hand aus. So würdig wie möglich reichte er Henrikes Vater ein Lederfutteral. Konrad Vresdorp zog ein feines Silbermesser daraus hervor.
»Habt Dank, das wird mir bei jeder Tischgesellschaft zur Ehre gereichen«, freute sich ihr Vater.
Für Henrike hatte Adrian eine Art Umschlag aus Samt. Vorsichtig zog sie Schmuckhaarnadeln mit Perlen an den Spitzen hervor. »Wie schön sie sind! Ich danke Euch«, rief sie überrumpelt und mit glühend roten Wangen aus.
Simon und der Ratsmedicus traten ein. Nach der Begrüßung überreichte Adrian Vanderen ihrem Bruder einen Schreibgriffel aus flämischer Produktion, den an der Spitze ein detailgenau herausgearbeiteter Drache schmückte.
»Für mich? Das ist – ich werde kaum schreiben können vor lauter Bewunderung«, sagte der Junge.
Konrad Vresdorp räusperte sich und runzelte demonstrativ die Stirn, aber Adrian lächelte nachsichtig.
»Seine Freude ist mir Dank genug.«
Während Adrian Vanderen mit dem Ratsmedicus in sein Zimmer ging, richtete Konrad Vresdorp das Wort an die jungen Leute. »Telse, sei so gut und bring mit Jost die Fähnchen zum Rathaus. Henrike, du führst unseren Gast zum Hospital, wenn der Medicus fertig ist, damit Herr Vanderen nach seinen Männern sehen kann. Simon wird euch begleiten.«
Die Base zog eine Schnute. Sie war über die Änderung ihrer Pläne nicht gerade begeistert. Verlegen sah sie Jost an, doch sie gehorchte. Henrike wollte etwas einwenden, der strenge Blick des Vaters gebot ihr aber Einhalt.
»Ich würde meinen Gast ja selbst begleiten, aber ich bekomme Besuch von einigen Ratsmitgliedern«, erklärte er. »Und gib Margarete Bescheid: Morgen gibt es ein Festmahl zu Ehren unseres Gastes!«
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»Wie viele Piraten waren es? Wie sahen sie aus? Waren sie schwer bewaffnet?«, fragte Simon aufgeregt, als er zwischen Adrian Vanderen und Henrike die Alfstraße hügelan ging. Der Kaufmann wirkte verwandelt. Er trug feine Kleidung aus Seide und Brokat, die selbst die prunkverliebten Lübecker Patrizier zu neidvollen Blicken veranlasste. Gesicht und Haar waren sauber, seine Haltung war tadellos, als würde keine Wunde ihm zusetzen. Der Medicus musste Wunder gewirkt haben, oder der Kaufmann hatte unbekannte Kräfte, befand Henrike.
»Zwanzig bestimmt, viele mit Kapuze und Schulterkragen. Ich habe Piken und Beile gesehen, Säbel und Enterhaken. Merkwürdigerweise keine Armbrüste außer meiner. Sie waren nicht so gut ausgerüstet wie manch andere Seeräuber, denen ich begegnet bin, dafür aber genauso mordlustig.«
Simon machte große Augen. »Ihr könnt mit der Armbrust umgehen? In Lübeck gibt es zahlreiche Waffenschmiede. Viele Kaufleute treiben Handel mit Waffen.« Adrian Vanderen strich mit dem Daumen über seine Augenbraue, die, wie Henrike erst jetzt bemerkte, durch eine Narbe geteilt war. »Mit Armbrust und Pfeil, aber auch mit Bogen und Schwert – als Kaufmann sollte man sich verteidigen können.«
Frage um Frage stellte ihr Bruder. Adrian Vanderen begann zu erzählen, doch je weiter sie gingen, umso schleppender wurde seine Rede. Er sah nur noch auf das Pflaster, hatte kaum einen Blick für die Bauwerke der Stadt. Als Simon erneut seinen Mund öffnen wollte, legte Henrike die Hand auf seine Schulter und bremste ihren wissbegierigen Bruder. Der Weg durch die Straßen mit ihrem vielen Verkehr und den vorbeidrängenden Menschen war wohl doch anstrengender für den Verletzten, als er zugeben wollte.
Dabei war Henrike durchaus eingenommen von dem Lübeck, wie es sich ihrem Gast darbot. Giebel an Giebel reihten sich die neuen Backsteinbauten. Nach dem verheerenden Brand voreinigen Jahren hatte der Rat verordnet, dass nicht mehr in Holz gebaut werden durfte. Aber wer es sich leisten konnte, wollte seinen Reichtum ohnehin in einem standesgemäßen Bauwerk aus Backstein zeigen. Alte Gebäude wurden abgerissen, das Erdreich ausgehoben, um Platz für die Keller der neuen Häuser zu schaffen. Maurer und Zimmerleute hatten gut zu tun, genau wie die Ziegelbrenner vor den Toren der Stadt. Nur in
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