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Hansetochter

Hansetochter

Titel: Hansetochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weiß
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Gelegenheit, werde es aber so bald wie möglich tun«, versprach sie und machte sich los. Sie wollte sich von ihrer Tante nicht die Laune verderben lassen. Es war ohnehin schon genügend, was ihr durch den Kopf ging. Dabei wollte sie eigentlich nur eines: den Ball genießen. Und davon würde sie sich jetzt auch nicht mehr abbringen lassen, nahm sie sich vor.
    Henrike ließ ihren Blick durch den Saal wandern. Sie konnte sich gar nicht sattsehen an den zahlreichen Formen und Farben der Gewänder, Schuhe und Kopfbedeckungen. Die Adeligen waren kaum von den Bürgern der Stadt zu unterscheiden. Die Männer trugen lange Mantelröcke über ihren mit Pelzkrägen versehenen Wämsern. Ihre Ehefrauen prächtige Kleider und Schmuck. Bei beiden Geschlechtern gab es lange Schnabelschuhe zu sehen, weit herabhängende Ärmel und Oberteile, die an den Seiten und Armen vor Knopfreihen nur so strotzten. Zur Darbringung der Speisen hatte man den Ratsschatz hervorgeholt: Aus silbernen Kannen wurde Wein ausgeschenkt, Diener boten auf silbernen Tabletts Konfekt an.
    Henrike entdeckte in der Menge ihren Vater, der sich sich mit seinem Geschäftsfreund leise über die anwesenden Bürger und Ratsmitglieder unterhielt, als ein Diener sie mit einer Nachricht unterbrach. Konrad Vresdorp entschuldigte sich, einer der Bürgermeister habe ihn zu sich gebeten. Sogleich ging er zu den Honoratioren der Stadt.
    Henrike stand nahe bei Simon und Adrian. Sollte sie ihren Hausgast unverblümt auf die Gerüchte ansprechen? Aber was wäre, wenn er laut werden oder sie sogar der üblen Nachrede beschuldigen würde? Dann wäre der Abend endgültig dahin. Allerdings war er immer so höflich gewesen, dass sie sich das kaum vorstellen konnte. Und ihr Vater schien großes Vertrauen in Adrian Vanderen zu haben.
    Plötzlich verstummte die Musik. Ein Raunen ging durch den Saal, und alle Blicke wandten sich dem Eingang zu. Der Kaiser und die Kaiserin traten herein und schritten zu ihren Plätzen an der Stirnseite des Saales. Jetzt war seine krumme Haltung nicht zu übersehen, auch wenn seine aufwändige Kleidung sie zu überspielen suchte. Der Kaiser trug ein ins Graubräunliche spielendes, reich verziertes Gewand und darüber einen gelben Mantel, der inwendig rot schimmerte und dessen Saum mit Perlen und Edelsteinen geschmückt war. In seiner goldenen, edelsteinbesetzten Krone fing sich das Kerzenlicht und wurde tausendfach in den Raum zurückgeworfen. Die Kaiserin stand ihrem Gemahl in Pracht und Würde nicht nach. Es gab eine offizielle Begrüßung, danach sprach der Kaiser einige Worte mit den Bürgern der Stadt.
    »Sieh nur, er redet auch mit Vater!«, flüsterte Simon aufgeregt.
    Henrike war genauso stolz wie ihr Bruder, und auch Adrian nickte ihr anerkennend zu. Er wirkte so gar nicht falsch, nicht unehrlich, dachte sie und lächelte zurück.
    Ihre Tante schien sich über diese Auszeichnung ihrer Familie allerdings nicht zu freuen. Finster blickte sie in die Runde und meinte in scharfem Tonfall zu Henrike: »›Die Hoffart des Menschen wird ihn stürzen, aber der Demütige wird Ehre empfangen‹, heißt es in der Heiligen Schrift.«
    Henrike zuckte zurück. Musste Tante Ilsebe wirklich diesesaußergewöhnliche Fest verderben? Konnte sie es denn nicht einfach genießen? Was hatten sie getan, dass sie diese Zurechtweisung verdienten? Genugtuung spiegelte sich im Gesicht ihrer Tante, bis Adrian Vanderen das Wort an sie richtete.
    »Aber sagt die Heilige Schrift nicht auch: ›Legt also alle Bosheit ab, alle Falschheit und Heuchelei, allen Neid und alle Verleumdung‹?«
    Ilsebe Vresdorp schnappte derart nach Luft, das Henrike am liebsten laut gelacht hätte. Telse starrte betreten auf den Boden.
    Im Saal setzte Bewegung ein. Die Musiker machten sich bereit, Ballgäste sammelten sich um die Tanzfläche. Adrian Vanderen trat zu Henrike und sah ihr erwartungsvoll in die Augen. Das Kerzenlicht gab seinem Blick einen warmen Glanz, der Henrike ganz durcheinanderbrachte.
    »Kommt, Jungfer Henrike, der Kaiser wird jeden Moment den Ball eröffnen. Wir wollen ein angemessenes Spalier für ihn bilden.« Er reichte Henrike seine Hand. Sie legte ihre bebenden Finger hinein, die er sanft drückte. Henrike wurde heiß und kalt zugleich, ihr Mund schien plötzlich zu trocken zum Sprechen. Sie raffte mit der anderen Hand den Rocksaum und glitt über das Parkett.
    Die Musik setzte ein, und der Kaiser und die Kaiserin schritten zum ersten Tanz. Als die Tanzfläche auch für die

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