Hansetochter
anschlossen.
Henrike war froh, sich wieder bewegen zu können. Die Kälte war ihr inzwischen die Beine hochgekrochen. Die Menschen am Straßenrand und in den Häusern jubelten auch jetzt noch, und Henrike fand es merkwürdig, in der Mitte zu gehen und scheinbar selbst gefeiert zu werden; so bekam auch sie etwas von dem Glanz des Kaisers ab. Auf dem Weg zum Dom redete Telse aufgedreht über die Gewänder und den Schmuck der Hochwohlgeborenen. Sie suchte vor allem das Gespräch mit Drudeke Diercksen, der Tochter des Ratsherrn. Drudeke war etwa in Henrikes Alter, aber schnippisch und eingebildet, weshalb Henrike sie mied. Sie trug einen auffälligen Kruseler, einen Schleier, dessen zahlreiche Rüschen sich übertrieben türmten, auch waren ihre Haare an der Stirn sehr weit ausrasiert. Drudeke beachtete Telse kaum, so sehr ihre Base sich auch um sie bemühte. Henrike tat es leid, zu erleben, wie Telse um die Aufmerksamkeit der anderen buhlte und doch keinen Erfolg damit hatte. Sie selbst beteiligte sich an diesem Gespräch kaum; ihr gingen Telses Worte über Adrian nicht aus dem Sinn. Vermutlich hatten sie einen wahren Kern, denn was für einen Grund könnte ihre Base haben, sie anzulügen? Sie würde nachher ihren Vater darauf ansprechen müssen, um ihn vor der üblen Nachrede zu warnen.
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Mit langsamen, vorsichtigen Bewegungen glitt der Kamm durch Henrikes langes Haar. Die junge Frau reckte und bog ihre Zehen vor der kupfernen Feuerpfanne. In der Domkirche war es kalt gewesen, die Gesänge und Gebete waren ihr endlos vorgekommen. Danach waren sie der Prozession vom Dom in die Königstraße oberhalb des Sankt Johannisklosters gefolgt, wo der Kaiser im Hause eines Kaufmanns Herberge genommen hatte. Unter dem ohrenbetäubenden Getöse der Pfeifen und Trommeln hatte er das Haus betreten. Den Menschen stand eine aufregende Nacht bevor, und auch Henrike freute sich darauf. Zu Hause hatte sie ihrem Vater von den Gerüchten über Adrian Vanderen erzählen wollen, aber er war noch nicht eingetroffen. Sie musste sich sputen, bald war es Zeit für den Ratsball. Margarete fragte sie nach der Prozession aus, flocht eine Perlenschnur in ihre Haare und steckte sie mit den neuen Perlnadeln von Adrian Vanderen fest.
Henrike berichtete alles, was ihr einfiel. »Die Kaiserin ist im gegenüberliegenden Giebelhaus untergebracht, stell dir vor. Beide Häuser sind durch einen bedeckten Holzgang oberhalb der Straße verbunden, damit die Kaiserin sich keine schmutzigen Füße holt, wenn sie ihren Mann besuchen will«, erzählte sie aufgeregt. Ihre Stimme klang dünner als sonst, mehr und mehr wühlte der Gedanke an die nächsten Stunden sie auf.
Nachdem der Kopfputz beendet war, schnürte Margarete dasneue Kleid. Weich fiel die Seide über ihren Körper, und dort, wo sie auf Haut traf, kitzelte sie wie das Streicheln einer Feder. Henrike zog ihre neuen Schnabelschuhe an, deren Farbe genau auf das Kleid abgestimmt war. Zuletzt legte Margarete ihr den Gürtel um, dessen Metallglieder mit Edelsteinen verziert waren, und setzte ihr das Schappel auf das Haupt; auch dieser Metallreif war edelsteingeschmückt. Henrikes Vater hatte tatsächlich keine Kosten gescheut, um sie einzukleiden.
Als sie fertig war, schlug die alte Frau begeistert die Hände über der Brust zusammen. »Myne Henrike hat eren besten Rocke ane, is myt Perlen wol gesmucket! Eben warst du noch ein kleines Mädchen und hast unter dem Küchentisch gespielt. Jetzt sollst du auf deinen ersten Ratsball – und dann noch mit dem Kaiser!«, rief sie aus.
Henrike umarmte sie fest. Sie war froh, dass Margarete die Bitterkeit, die im Umgang mit der Bettlerin aufgeblitzt war, wieder verloren hatte.
»Dabei hält der Kaiser gar nicht viel von Tanzvergnügen und Turnieren, erzählt man sich«, sagte sie lächelnd.
Es hieß, dass der Kaiser in seiner Jugend ein begeisterter Turnierkämpfer gewesen sei. Bei einem Turnierunfall hatte er sich jedoch an Brust und Hals schwer verletzt. Seitdem sei er teilweise gelähmt und deshalb zu einer gekrümmten Körperhaltung gezwungen. Das hatte sie allerdings nicht bemerkt, vermutlich, weil er die meiste Zeit auf dem Pferd gesessen hatte. Später, im Dom, hatte Henrike ihn zwischen den vielen Würdenträgern oft kaum entdecken können. Es war auf jeden Fall nicht verwunderlich, dass er heute von ritterlichen Wettkämpfen nicht mehr begeistert war.
»Was dem Kaiser gefällt, kann dir egal sein. Alle sollen dich sehen, die Tochter des Kaufmanns
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