Hansetochter
entbrannte, die irgendwann damit endete, dass beide lachend zu Boden fielen. Simon, der seine Wunden für ein paar Minuten fast vergessen hatte, rollte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf die Knie.
»Wieder dein Vetter?«, wollte Liv wissen.
Simon nickte nur. Liv sprang auf die Füße und half Simonhoch. Er brauchte nichts mehr zu sagen, geprügelt wurde überall, ob im Haus oder auf einem Schiff. Simon hatte den Bootsjungen einmal mit Adrian am Hafen getroffen. Seitdem hatten sie sich oft unterhalten, wenn Liv den Matrosen, der die Wache bei der Cruceborch übernommen hatte, aufsuchte. Jetzt gingen sie zu den offenen Feuern, an denen sich die Hafenarbeiter wärmten. Simon kratzte sich Schnee aus dem Kragen und musterte sein Gegenüber.
»Und du? Neuer Zwirn?«, fragte er.
Liv straffte sich stolz und wischte noch die letzten Schneeflocken von seinen Schultern.
»Mein Herr hat gestern zu einem Gastmahl ... wie sagt man ... geladen. Da mussten wir natürlich Eindruck machen.« Sie hielten an einem Feuer, nickten den Arbeitern zu und reckten die Hände in die Wärme. »Wichtige Leute waren da, mit Frauen und Töchtern. Hübsche Mädchen dabei.« Er wurde rot. Simon vermochte nicht zu sagen, ob es wegen der Hitze der Flammen war. »Alles hat gut geklappt. Ich habe nichts verschüttet. Und Frau Margaretes Essen war einfach himmlisch.«
Simon lächelte wehmütig. Das konnte er sich vorstellen. Wenn er dagegen an die mageren Fischsuppen in der Alfstraße dachte – wie er Liv beneidete!
»Vielleicht sollte ich mal zum Essen bei euch vorbeikommen«, sagte er.
Liv war von dem Vorschlag begeistert. »Ja, tu das! Der Herr hat bestimmt nichts dagegen!« Plötzlich schlug er sich an die Stirn. »Ach ja, der Herr – ich muss noch etwas erledigen! Auf bald, Simon!« Schon war er zu einem Kahn gerannt und paddelte auf das jenseitige Ufer zu, wo man die Kogge aufgebockt hatte.
»Auf bald, Liv!«, rief Simon ihm hinterher. Er sah dem Freund noch eine Weile nach. Er würde hier noch ausharren müssen, bis der Ladekahn kam. Wenn denn einer kam. Simon drehte sichvor dem Feuer. Seine Vorderseite war warm geworden, aber der Rücken und vor allem die Füße waren eiskalt.
~~~
Klappernd schlugen Simons Zähne aufeinander, als sich im letzten Licht des Tages ein Lastkahn durch die Eisschollen schlängelte. Nicht einmal das Mittagessen hatte ihn aufzuwärmen vermocht. Während sich sein Onkel danach angetrunken zu seinem Mittagsschläfchen, dem Nonenslap, zurückgezogen hatte, war er selbst wieder in den Hafen gegangen. Nun lief er rasch in die Alfstraße und gab Jost Bescheid, dass der Kahn da war, damit dieser dafür sorgte, dass die Waren verladen und ins Haus gebracht wurden. Anschließend brachte Simon einen dringenden Brief für seinen Onkel zum Rathaus.
Im Ratskeller war die Luft zum Schneiden dick. Es roch nach Bier und Braten, nach Schweiß und Rauch. Noch dazu herrschte ein unvorstellbares Stimmengewirr. Simon schwirrte der Kopf. Ihm war plötzlich heiß, unerträglich heiß, und die Striemen auf seinem Rücken brannten. Es herrschte eine Aufregung in dem Raum, die er nicht verstand. Ratsherr Diercksen schien Hof zu halten. Er schwang eine Rede, viele andere hatten sich ihm zugewandt, auch sein Onkel. Sie alle wirkten recht aufgeblasen auf den Jungen, als müssten sie jeden Moment platzen. Simon bekam einen Hustenanfall, blinzelte die Schweißtröpfchen aus den Augenwinkeln. Auch Adrian Vanderen war dort und sah ihn besorgt an. Simon nickte ihm zu – aber hatte er gerade wirklich genickt? Von einem auf den anderen Moment wusste er es nicht mehr genau. Ihm schwindelte. Er reichte seinem Onkel den Brief und taumelte hinaus.
14
Astas Gut bei Travemünde, Anfang Februar 1376
H enrike kniff die Augen zusammen. Gleißend blau strahlte der Himmel gegen das Weiß. Sie konnte das Rauschen des Meeres hören und verspürte den Wunsch, es noch einmal zu sehen, bevor sie in die Enge der Stadt zurückkehrte. Sie hatten auf Tauwetter gewartet. Doch nun hatten sie keine Wahl mehr. Demnächst würde die Reisezeit der Kaufmänner wieder beginnen, sie mussten jetzt nach Lübeck fahren, ob nun Schnee lag oder nicht.
Lange hatten Henrike und Asta über die Vergangenheit geredet, über ihre Mutter und darüber, wie Henrike in Lübeck vorgehen und worauf sie achten musste. Hartwig würde vielleicht versuchen, sie aus dem Weg zu schaffen, deshalb brauchte sie die Unterstützung der Testamentsvollstrecker, um halbwegs
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