Happy End in Virgin River
Paul ebenso sehr – wenn nicht sogar noch mehr – brauchte, war Tommy. Der Junge war durch den Verlust seines Schwagers völlig niedergeschmettert. Er liebte seine Schwester mehr, als es ein siebzehnjähriger Junge zuzugeben wagte, aber er hatte begonnen, Matt wie einen Helden zu verehren, und war von seinem Mut und Patriotismus fasziniert, sodass er für ihn zu einem wirklichen Bruder geworden war.
Auch wenn Kinder häufig einen anderen Weg einschlagen als ihre Eltern und auch wenn Tom und sein Vater regelmäßig die Köpfe aneinanderstießen – Walt hatte eindeutig einen jungen Soldaten großgezogen. Tom war bereits in West Point angenommen, und somit lag eine recht lange Dienstzeit in der Armee vor ihm, wenn er sich nicht sogar ganz für eine militärische Laufbahn entscheiden würde. Matts Tod warf ihn um.
Paul versuchte, so viel Zeit wie möglich mit Tom zu verbringen. Er half ihm bei der Pflege der Pferde und nahm ihn mit zu Jacks Haus, wo er vor Weihnachten hin und wieder noch ein paar Stunden aushelfen konnte. Am Weihnachtsmorgen fiel ganz schön viel Schnee, der sich auf die Kiefern und Wege legte, daher holten sie zwei Pferde aus dem Stall, um mit ihnen auszureiten.
„Glaubst du, dass er Angst hatte?“, fragte Tom völlig aus dem Blauen heraus.
Natürlich bestand kein Zweifel daran, von wem die Rede war. „Vielleicht nicht in dem Augenblick, denn die Explosion kam ja völlig überraschend. Aber in einer solchen Situation hat jeder Angst. Am liebsten würde man sich in seinem Helm verkriechen und einfach nur abwarten, bis es vorbei ist. Aber verdammt, es ist erhebend, Tom. Das Training, die physische Herausforderung, alles in die Waagschale zu werfen, wenn es wirklich darauf ankommt. Wenn alles auf dem Spiel steht. Wenn es nicht um eine Gehaltserhöhung geht, nicht um einen zusätzlichen Tag Ferien … sondern um Freiheit. Die Freiheit deiner Frau, deines Sohnes, deiner Eltern. Daran denkst du, wenn es hart auf hart kommt … dass es ein Ziel gibt, für das du dieses Risiko eingehst. Ein großartiges Ziel. Das ist es, was Männer wie Matt immer wieder zurückzieht. Männer wie Jack. Jack war zwanzig Jahre dabei. Wenn Matt es auf zwanzig Jahre gebracht hätte, wäre er ebenso ausgezeichnet worden wie Jack.“
„Ich weiß nicht, ob ich das Zeug dazu habe“, sagte Tom. „Ich will es ja auch gut machen, aber …“
„Es wäre jedenfalls keine gute Idee, diesen Weg einzuschlagen, wenn du nicht das Gefühl hast, dass es das Richtige für dich ist. Das gibt Kraft. Die Kraft der Überzeugung. Das hat mit Adrenalin zu tun. Mit Rausch. Und selbst wenn du dieses Gefühl hast, ist es immer noch schwer genug.“
„Wie kann man das wissen ?“
Paul zuckte mit den Schultern. „Darauf kann ich dir keine Antwort geben, Junge. Ich war mir selbst nicht sicher, bis ich dort war. Für uns, das heißt für Matt und mich, war der Einsatz im Irak damals der erste. Und das war nichts im Vergleich zu heute. Aber als ich einmal dort war, wusste ich einfach, dass ich dort sein sollte. Damals haben wir dann auch Jack Sheridan, Preacher und Mike kennengelernt.“
„Aber du bist dann ausgestiegen.“
„Mir hatte die Reserve gereicht, aber das endete dann wiederum in Falludschah, wo ich angeschossen wurde und meine Milz gelassen habe. Damit war es für mich gelaufen. Ich wollte zwar dienen, aber ich hatte nicht das Ziel, eine Militärlaufbahn einzuschlagen. Ich habe den Beruf, den ich mir wünsche. Ich liebe es, Häuser zu bauen. Für dich ist es das Wichtigste, daran zu denken, dass du diese Entscheidung nicht jetzt treffen musst. Es werden noch Jahre vergehen, bis es dazu kommt.“
„Glaubst du, dass Vanni damit fertig wird?“, fragte Tom.
„Nicht sofort. Sie wird um ihn trauern müssen. Aber irgendwann wird sie ihr Leben weiterführen, denn sie hat diese Gabe, diese Liebe zum Leben. Ich kenne keine andere Frau, die so lebendig ist wie Vanni. Und sie wird einen Sohn aufziehen müssen. Sie wird darüber hinwegkommen. Das ist nur eine Frage der Zeit.“
„Nachts kann ich hören, wie sie weint.“
„Ja“, sagte Paul. „Ich auch.“
Sie lenkten ihre Pferde an der schmalen Strecke des Flusses entlang, der das Gelände des Generals teilte, und Paul zog die Zügel an. „Tommy“, flüsterte er. „Da drüben.“
Am Flussufer stand der gewaltigste Hirsch, den Paul je gesehen hatte, und labte sich am Wasser. Ein Zwölfender, sechs mal sechs, lange, prächtige Schnauze mit schwarzer Nase, kräftiger Hals mit
Weitere Kostenlose Bücher