Happy Family
als Familie wieder mal gemeinsam etwas essen gingen. Hätte ich mich nicht darüber gefreut, hätte es mir vielleicht zu denken gegeben, dass vor dem Imbiss circa fünfzig Motorräder standen.
Aber so wankte ich, begleitet von den anderen, in den Vorraum, wo uns die ersten Gäste anstarrten – ein paar Familienväter mit Bierbäuchen, die gerade mit ihren dicken Söhnen vom Männerklo kamen. Bei unserem Anblick klappten ihnen allen die Kinnladen herunter, und Jacqueline begrüßte sie mit: «Mund zu, oder Fäuste kommen rein.»
Das war für die Leute ein überzeugendes Argument, ihre Münder eilig zu schließen. Sie zogen ihre kleinen dicken Jungs aus dem Vorraum und eilten zu ihren noch dickeren Frauen auf den Parkplatz.
Im Restaurant waren die meisten Tische besetzt von circa fünfzig Rockern der Marke «Gewaltfreiheit wird gewaltig überschätzt». Sie saßen inmitten von Tonnen an Burger-Verpackungspapier, für dessen Herstellung sicherlich der ein oder andere Indio-Stamm seinen Regenwald hatte verlassen müssen.
Als die Rocker uns sahen, hörten sie schlagartig auf zu mampfen. Sie ließen ihre Münder offen stehen, und man konnte deren Inhalt sehen. Da wurde mir gleich noch viel übler. Schließlich ergriff ein bärtiger Riese, der aussah wie ein Grizzlybär, das Wort: «Schaut euch die Freaks an!»
Alle Rocker lachten, was Frank nicht gefiel. Donnernd grollend rief er den Kerlen zu: «Ufta Klopp?»
Ich zog ihn an der Fellweste: «Wir verkloppen niemanden, wir bestellen jetzt schnell und gehen dann.»
Bevor ich ihn jedoch zum Counter schieben konnte, erklärte der Anführer-Grizzly: «Jungs, das Riesenbaby ist ein bisschen aggressiv. Lasst ihn uns rauswerfen.»
Er stand mit zwei anderen Kerlen auf, einem gedrungenen Glatzkopf, der Ähnlichkeit hatte mit einer Bowlingkugel, und einem Typen, der mehr Tattoos besaß als ein Fußballprofi.
«Bitte, wir wollen nur ungestört was essen», bat ich leise.
«Ufta-Klopp-Klopp!», konterkarierte Frank, was ich gesagt hatte. Dass seine Sprache etwas besser wurde, konnte mich in diesem Augenblick nicht wirklich freuen.
«Ich bin ein emanzipierter Mann», drohte mir der Grizzly, «ich schlag auch Frauen. Alice Schwarzer würde voll auf mich stehen!»
Fieberhaft dachte ich nach: Vielleicht sollte ich dem Typen Geld anbieten, damit er uns in Ruhe ließ. Allerdings hatten wir nicht allzu viel dabei. Die EC -Karte würde uns auch nicht weiterhelfen, fuhren wir Wünschmanns doch grundsätzlich am Dispo-Limit. Doch dann hörte ich schlagartig auf mit Denken. Der Grizzly hielt mir seinen Finger vor die Nase. Dieser hatte einen kleinen Ratscher, den der Kerl sich vermutlich kurz zuvor an der Kante eines Burgerkartons zugezogen hatte. Es war aber auch völlig egal, wie er sich den geholt hatte. Wichtig war nur: Der Finger blutete. Leicht. Aber er blutete!
Das war das Aufregendste, das Begehrenswerteste, was ich jemals gesehen hatte. Oder gerochen. Dieses Blut, so wenig es auch war, konnte ich ganz intensiv riechen. Und es besaß einen köstlicheren Duft als jedes Essen aus einem Sternerestaurant. Ich konnte nicht anders: Ich verlor all meine Vernunft. Das Verlangen überkam mich. Ich war ihm völlig ausgeliefert. Ich packte seinen Finger. Und saugte daran.
Dies war nicht gerade ein Beitrag zur Deeskalation.
Es war wie ein Rausch. Nein, es war wie der Rausch! Als ob man gleichzeitig den phantastischsten Espresso trinkt und beim Sex einen Orgasmus bekommt (nicht, dass ich das in dieser Kombination schon mal ausprobiert hätte. Ich hätte mich sicher dabei verschluckt). Ich saugte. Und saugte. Und saugte. In meinem Rausch hörte ich – es kam mir unfassbar weit entfernt vor – den Grizzly schreien: «Alte, dich mach ich kalt!»
Von Jacqueline hörte ich: «Die Alte ist schon kalt.»
Und Fee erklärte: «Hören Sie … wir wollen keinen Ärger …»
Doch der Grizzly erwiderte: «Von wegen, die Irre hört ja gar nicht mehr auf, an meinem Finger zu lutschen.»
Er versuchte schon die ganze Zeit, mich abzuschütteln, aber schaffte es nicht. Meine Reißzähne steckten so fest in seinem Finger, dass ich ihn abgebissen hätte, wenn er mich mit aller Kraft weggestoßen hätte.
«Meine Mutter hört bestimmt gleich auf damit …», versuchte Max zu schlichten. Da rief der Grizzly: «Scheiße, das Vieh kann ja reden!»
«Das … das war ich nicht …», erwiderte Max hastig. «Ähem, sehen Sie dieses Mädchen da mit den Piercings … sie ist eine
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