Harald Glööckler - Glööckler, H: Harald Glööckler
Mal empfing uns die Diva an der Eingangstür, aber diesmal bat sie uns nicht herein. Stattdessen kam sie heraus und machte eine Handbewegung, die uns gebot, ihr zu folgen. Sie führte uns um das Haus herum, auf die andere Seite des Gartens. In der Nacht hatte es geregnet, und Gina sank bei jedem Schritt mit ihren Stöckelschuhen tief in den matschigen Boden ein, aber sie schien es kaum zu bemerken. Schließlich erreichten wir ein kleines Gartenhaus.
Es handelte sich um das Atelier, das sie sich hier eingerichtet hatte. Sie erzählte uns, wie sie als junges Mädchen, vor ihrer Filmkarriere, bereits in Rom Malerei studiert hatte, aber dass erst sehr viel später, im Jahr 1990, ihre Liebe für die Bildhauereierwacht war. Da war sie bereits dreiundsechzig Jahre alt. Sie hatte kurz entschlossen Unterricht beim berühmten Bildhauer Giacomo Manzù genommen und damit begonnen, Skulpturen aus Marmor zu meißeln und Plastiken aus Bronze zu gießen.
»Anfangs haben mich natürlich alle niedergemacht«, erzählte sie. »Wenn man Schauspielerin ist und weltweit erfolgreich, erwarten die Menschen, dass man sich damit zufrieden gibt. Sie akzeptieren nicht, dass man auch noch andere Talente hat, die man gerne ausleben möchte. Dabei haben die meisten Kritiker meine Arbeiten nicht einmal angesehen. Aber so sind sie, die Menschen.«
Sie sagte das ohne Groll. Es war einfach eine Feststellung. Wie mir war es auch Gina Lollobrigida egal, was andere von ihr dachten. Sie wusste, was sie konnte, und vor allem, was sie wollte. Man durfte sie natürlich gern bewundern, aber wenn man es nicht tat, machte es ihr auch nichts aus. Darin lagen ihre besondere Stärke und ihre Ausstrahlung. Sie glaubte an sich, das war ihr das Wichtigste.
Ich vertiefte mich in Ginas Skulpturen. Die Details waren unglaublich fein gearbeitet, in vermutlich unzähligen Arbeitsstunden mühevoll aus dem Stein gemeißelt: lebensecht wirkende Hände, Füße, Körperformen und Gesichter. Hier in diesem Atelier, erfuhren wir, arbeitete Gina Lollobrigida trotz ihrer inzwischen zweiundsiebzig Jahre noch fast täglich.
Zum Teil hatte sie dabei auch die Charaktere geformt, die sie in ihren Filmen verkörpert hatte – etwa die schöne Esmeralda aus dem Glöckner von Notre Dame und die Herrscherin in Salomon und die Königin von Saba . Auf der Expo in Sevilla hatte sie 1992 sogar ihre Heimat Italien mit einer ihrer Skulpturen vertreten. Sie zeigte uns einen Zeitungsausschnitt von sich vor dem betreffenden Kunstwerk. Es war die Skulptur eines Kindes, das auf einem Adler reitet. Ich hatte das starke Gefühl, dieses Motiv zeigte niemand anderen als Gina selbst: eine Abenteurerin, die mit der Neugier eines Kindes ihr Leben lebte. Ganzohne Angst vor den schwindelerregenden Höhen, in die sie dabei getragen wurde. Doch die Expo blieb längst nicht ihr einziger Erfolg. 2003 ist ihr zum Beispiel für ihre Arbeiten der »Commandeur de l’Ordre des Arts et des Lettres«, der wichtigste Kunstpreis Frankreichs, verliehen worden.
»Schau, Harald«, ruft sie. Sie besprüht den Marmor einer Skulptur an einer Stelle mit etwas Wasser, um mir die kristalline, glitzernde Struktur des Steins zu zeigen, die auf diese Weise zum Vorschein kommt.
»Es ist nur Marmor, aber er glitzert wie ein Edelstein, findest du nicht?« Sie sieht mich eindringlich an. »Der Stein glitzert, wie auch Menschen glitzern, wenn sie das tun, was sie am besten können. Wenn man ihre wahre Natur zum Vorschein bringt. So wie ich das getan habe. Und so wie du, Harald. Du bist die Zukunft, ich bin die Vergangenheit! Zusammen gehört uns die Welt.«
Nachdem Dieter und ich die Skulpturen ausgiebig bewundert hatten, führte sie uns in ihre Bibliothek. An einer Wand hingen unzählige Bilder, die Gina zusammen mit anderen Stars zeigten. Mit Michael Jackson, Marilyn Monroe, Frank Sinatra und vielen anderen. Auf der gegenüberliegenden Seite standen Tausende Bücher in den Regalen. Darunter auch jede Menge Fotobände – etliche davon hatte Gina selbst fotografiert, jedes ihrer Bücher war bisher in Italien ein Bestseller gewesen. Und nicht nur dort. Trotzdem ist das Fotografieren wie die Bildhauerei eine der breiten Masse wenig bekannte Seite der Schauspielerin. Als Gina zu Beginn der Siebzigerjahre aufgehört hatte, Filme zu machen, hatte sie sich der Fotografie zugewandt und sich vor allem darauf spezialisiert, die Menschen privat zu fotografieren, die sie durch ihre Berühmtheit einfach mal inoffiziell trifft – Fidel
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