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Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Titel: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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ich. Wenn sie aus heiterem Himmel angefangen hätte, vom dritten Schaltkreis und von Unsterblichkeit zu reden, wäre das in der Tat nur schwer zu schlucken gewesen.
    Nach ein paar weiteren Zügen stieß ich plötzlich an etwas Hartes. Ich war in Gedanken und deshalb zuerst verwirrt, wusste nicht, was es zu bedeuten hatte, bis mir schließlich dämmerte, dass es sich um die Felswand handelte. Wir hatten den unterirdischen See durchschwommen.
    »Wir sind da«, sagte ich. Sie schwamm heran und überzeugte sich selbst. Hinter uns in der Dunkelheit blinkte das Taschenlampenlicht wie ein kleiner Stern. Der Lichtlinie folgend bewegten wir uns etwa zehn Meter weiter nach rechts.
    »Hier muss es irgendwo sein«, sagte das Mädchen. »Das Loch liegt ungefähr einen halben Meter über dem Wasserspiegel.«
    »Jetzt vielleicht darunter.«
    »Nein, nein. Es ist schon richtig angelegt.«
    Vorsichtig suchte ich aus dem Bündel auf dem Kopf die Taschenlampe heraus. Mit der einen Hand am Felsen, leuchtete ich mit dem grellen, gelben Licht einen halben Meter über uns die Wand ab. Es dauerte eine ganze Weile, bis sich die Augen an das Licht gewöhnt hatten.
    »Da ist kein Loch«, sagte ich.
    »Versuch’s ein bisschen weiter rechts«, sagte das Mädchen.
    Ich hangelte mich ein Stück weiter, das Licht nach oben gerichtet. Doch ein Loch war nicht zu sehen.
    »Nach rechts, bist du sicher?«, fragte ich. Nun, da ich nicht mehr schwamm, drang mir die Kälte des Wassers bis ins Mark. Meine Gelenke schienen wie eingefroren, selbst vernünftig sprechen konnte ich nicht mehr.
    »Ja. Noch ein Stück nach rechts!«
    Zitternd hangelte ich mich weiter. Schließlich berührte meine linke, am Felsen entlangstreichende Hand etwas Merkwürdiges. Etwas Rundes, gewölbt wie ein Schild, ungefähr von der Größe einer Langspielplatte. Ich tastete es ab. Irgendein künstliches Muster. Ich richtete die Taschenlampe darauf, um es genauer zu untersuchen.
    »Ein Relief, nicht wahr?«, sagte das Mädchen.
    Ich brachte keinen Ton mehr heraus und nickte nur. Ein Relief derselben Art, die wir am Eingang zum Sanktuarium gesehen hatten. Zwei unheimliche Krallenfische, Kopf an Schwanz und Schwanz an Kopf, in ihrer Mitte die Welt. Wie ein ins Meer getauchter Vollmond lagen zwei Drittel des runden Schildes über, ein Drittel unter dem Wasserspiegel. Wie die beiden vorigen war auch dieses Relief filigran gestaltet. An diesem instabilen, unzugänglichen Ort musste eine so feine Arbeit enorme Mühe gemacht haben.
    »Das ist der Ausgang!«, sagte das Mädchen. »Wahrscheinlich hängen an allen Ein- und Ausgängen solche Reliefs. Guck mal ein Stück höher!«
    Ich ließ das Licht nach oben gleiten. Der Felsen sprang ein Stück vor, wegen der Schattenbildung konnte ich deshalb nichts Genaues erkennen. Irgendetwas schien da aber zu sein. Ich beschloss hochzuklettern und reichte dem Mädchen die Taschenlampe.
    Über dem Relief befand sich glücklicherweise eine Vertiefung, in der ich mich mit den Händen abstützen konnte. Mit ganzer Kraft zog ich meinen steifen Körper hoch und schwang ein Bein über das Relief. Mit der ausgestreckten rechten Hand bekam ich eine Nase im Fels zu fassen, sodass ich mich weiter hochziehen und über den Rand der vorspringenden Wand sehen konnte. Dort war tatsächlich ein Loch. Mehr konnte ich wegen der Dunkelheit nicht sehen, aber ich spürte eine schwache Brise, unangenehm kühle und modrige Luft, die verriet, dass dort ein Tunnel sein musste. Ich stützte mich an der Felskante ab und zog mich ganz hoch.
    »Hier ist der Tunnel!«, schrie ich nach unten, die Schmerzen im Bauch unterdrückend.
    »Gott sei Dank«, sagte das Mädchen.
    Ich nahm die Taschenlampe in Empfang und zog dann das Mädchen hoch. Eine Weile blieben wir zitternd vor dem Loch hocken. Mein Hemd und die Hosen waren so kalt, als hätten sie klatschnass im Gefrierfach gelegen. Ich kam mir vor, als hätte ich ein gigantisches Glas Whiskey on the rocks durchschwommen.
    Schließlich band ich mein Bündel vom Kopf und wechselte das Hemd. Meinen Pullover gab ich dem Mädchen. Das nasse Hemd und die Jacke warf ich fort. Von der Taille abwärts war ich nass, aber was sollte ich machen? Hosen und Unterwäsche zum Wechseln hatte ich nicht dabei.
    Während das Mädchen die Signalgeräte prüfte, gab ich dem Professor auf dem »Turm« mit der Taschenlampe wiederholt Blinkzeichen, dass wir sicher an dem Loch angekommen waren. Der kleine gelbe Lichtpunkt des Professors flackerte ebenfalls ein

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