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Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Titel: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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führte. Irgendwie gefiel mir der Mann. Wahrscheinlich benutzte er auch keine Heftklammern, um die Zettelchen mit den Nummern an den Hemden zu befestigen. Weil ich diese Klammern hasste, brachte ich meine Hemden nie zur Reinigung.
    Vor der Wäscherei stand eine Art Bank mit Blumentöpfen. Ich betrachtete die Blumen eine Weile, konnte aber keine einzige benennen. Warum ich nur so wenig Blumennamen kannte, war mir selbst ein Rätsel. Die Blumen sahen alle ganz gewöhnlich aus, mir schien, dass man sie normalerweise ausnahmslos benennen können müsste. Aus der Regenrinne tropfte es auf die schwarze Erde in den Kübeln. Irgendwie wurde mir weh ums Herz. Nun hatte ich 35 Jahre in dieser Welt zugebracht und kannte nicht einmal die Namen der alltäglichsten Blumen.
    An dieser einen Wäscherei machte ich gleich mehrere für mich neue Entdeckungen. Unter anderem, dass ich, was Blumen anging, ein Ignorant war und dass Wäschereien an Regentagen billiger waren. Fast täglich war ich diese Straße entlanggegangen und hatte bisher nicht einmal bemerkt, dass vor der Wäscherei eine Bank mit Blumenkübeln stand.
    Auf der Bank kroch eine Schnecke, auch das eine neue Entdeckung für mich. Bisher hatte ich geglaubt, dass es Schnecken nur in der Regenzeit gibt. Doch wenn sie wirklich nur in der Regenzeit herauskommen, wo sind sie dann und was machen sie in den anderen Jahreszeiten?
    Ich setzte die Oktoberschnecke in einen Blumentopf, dann auf ein grünes Blatt. Erst schwankte sie auf ihrem Blatt, dann stabilisierte sie sich in ihrer Schräglage und sondierte die Umgebung.
    Ich ging zum Tabakwarenladen zurück und kaufte mir eine Schachtel Lark Long Size und ein Feuerzeug. Ich hatte zwar vor fünf Jahren mit dem Rauchen aufgehört, doch eine Schachtel am letzten Tag des Lebens, das sollte nicht groß schaden. Noch unter der Dachtraufe des Ladens steckte ich mir eine an. Das Gefühl, einen Fremdkörper zwischen den Lippen zu haben, war stärker als erwartet. Langsam inhalierte ich, tief, und langsam atmete ich aus. In den Fingerspitzen kribbelte es, im Kopf setzte Nebel ein.
    Dann ging ich in die Confiserie und kaufte vier Stückchen Kuchen. Jedes hatte einen langen französischen Namen, Namen, an die ich mich, sobald der Kuchen in der Schachtel lag, schon nicht mehr erinnern konnte. Mein Französisch hatte ich mit dem Abgang von der Universität restlos verdrängt. Die Kuchenverkäuferin war hoch gewachsen wie eine Tanne und beim Schleifchenbinden schrecklich ungeschickt. Ich bin noch nie einem hoch gewachsenen Mädchen begegnet, das mit den Fingern geschickt gewesen wäre. Ob das ein weltweit gültiges Theorem ist, weiß ich natürlich nicht. Möglicherweise beruht es nur auf meinem individuellen Begegnungspattern.
    Den benachbarten Videoverleih hatte ich hin und wieder frequentiert. Das Besitzerehepaar war ungefähr mein Jahrgang, die Frau eine richtige Schönheit. In dem am Eingang platzierten großformatigen Display-Fernseher lief Walter Hills Street Fighter. Charles Bronson spielte einen Straßenboxer, der sich barfäustig schlug, James Coburn seinen Manager. Ich trat ein, ließ mich auf dem Sofa nieder und sah mir zum Zeitvertreib ein paar Kampfszenen an.
    Die Besitzerin hütete allein das Geschäft, hinten, hinter der Theke; sie langweilte sich offenbar. Ich offerierte ihr ein Stück Kuchen. Sie nahm sich ein Birnentörtchen, ich mir den Käsekuchen. Dann sah ich Kuchen essend zu, wie Charles Bronson sich mit einem kahlköpfigen Gorilla schlug. Die Mehrheit der Zuschauer erwartete, dass der Gorilla gewinnen würde, aber ich hatte den Film vor ein paar Jahren schon einmal gesehen und wusste zuversichtlich, dass Bronson den Sieg davontragen würde. Nachdem ich den Kuchen gegessen, eine halbe Zigarette geraucht und mich von Charles Bronsons Sieg überzeugt hatte, stand ich auf.
    »Schauen Sie sich doch in Ruhe noch den Rest an«, sagte die Besitzerin.
    Ich würde gerne, sagte ich, doch ich hätte im Waschsalon noch Wäsche im Trockner. Ich sah auf die Armbanduhr; sie zeigte 1 Uhr 25. Der Trockner war schon vor Zeiten abgelaufen. »Na großartig!«, sagte ich.
    »Keine Sorge. Jemand wird die Sachen herausgenommen und in die Tasche gefüllt haben. Ihre Unterwäsche stiehlt schon niemand.«
    »Ja, schon«, sagte ich kraftlos.
    »Nächste Woche bekommen wir drei alte Hitchcocks rein!«, sagte die Frau.

    Ich ging denselben Weg zurück. Glücklicherweise hielt sich niemand mehr im Waschsalon auf; die Wäsche hatte auf dem Boden der

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