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Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Titel: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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mir läppische einundzwanzig Stunden. Und in diesen einundzwanzig Stunden muss ich irgendwie zu ihrer Seele vordringen. Ist schon komisch, das Ganze. Hier bin ich, in der Stadt der Unsterblichkeit, und meine Zeit ist auf läppische einundzwanzig Stunden begrenzt, die noch dazu voll gestopft sind mit allen möglichen Entscheidungen, die getroffen werden wollen. Ich schließe die Augen und seufze ein paar Mal aus tiefstem Herzen. Ich muss mich konzentrieren, muss mich zusammenreißen, um den roten Faden zu finden, der uns aus diesem Schlamassel herausführt!
    »Komm, wir gehen ins Magazin«, sage ich.
    »Ins Magazin?«
    »Ja. Lass uns die Schädel anschauen und dann weitersehen.Vielleicht finden wir ja dabei die Lösung!«
    »Glaubst du wirklich, dass du meine Seele lesen kannst?«, fragt sie mich und sieht mich prüfend an.
    »Ja, ich glaube, ich kann deine Seele lesen«, antworte ich leise.
    »Wie denn?«
    »Das weiß ich noch nicht«, sage ich. »Aber ich kann es, bestimmt. Das weiß ich ganz genau. Es gibt sicher eine gute Methode dazu. Und die werde ich herausfinden!«
    »Ach, du versuchst doch einen Regentropfen zu finden, der in den Fluss gefallen ist!«
    »Nein, hör zu: Eine Seele ist kein Regentropfen. Sie fällt nicht vom Himmel, und vor allem: Sie ist unverwechselbar. Vertrau mir, wenn es dir nur irgend möglich ist, bitte! Ich werde deine Seele finden, ganz bestimmt. Hier in der Stadt gibt es alles – und nichts. Aber das, was ich unbedingt brauche, werde ich, wenn ich suche, finden, verlass dich drauf!«
    »Dann suche meine Seele!«, sagt sie nach einer langen Pause.

35  HARD-BOILED WONDERLAND
DER NAGELKNIPSER, BUTTERSAUCE, EINE EISENVASE
    Als ich den Wagen vor der Bibliothek parkte, war es 5 Uhr 20. Ich hatte noch viel Zeit, stieg also aus und ging spazieren. Die Stadt nach dem Regen. Ich vertrieb mir die Zeit, indem ich in einem kleinen Stehcafé bei einer Tasse Kaffee im Fernsehen eine Golf-Live-Übertragung verfolgte und in einer Spielhalle ein Video-Game absolvierte. Es galt, mit Panzerabwehrkanonen eine über einen Fluss anrückende Panzerbrigade abzuknallen. Anfangs war ich im Vorteil, aber im Verlaufe des Spiels vermehrten sich die feindlichen Panzer wie die Lemminge, sodass sie schließlich meine Stellung dem Erdboden gleichmachten. Bei der Zerstörung blitzte es wie bei einer Nuklearexplosion, der Bildschirm wurde weiß. Danach erschien die Schriftzeile GAME OVER – INSERT COIN . Ich folgte der Anweisung und steckte noch eine 100-Yen-Münze in den Schlitz. Es ertönte ein melodisches Signal, und meine Abwehrstellung tauchte wieder auf, unversehrt. Eine im wahrsten Sinne des Wortes auf Verlust angelegte Schlacht. Wenn ich nicht verlor, würde das Spiel nie zu Ende gehen, und ein Spiel, das nie zu Ende geht, hat keinen Sinn. Schlecht für die Spielhalle und schlecht für mich. Bald war meine Stellung von neuem zerstört, es blitzte wieder. GAME OVER – INSERT COIN .
    Neben der Spielhalle befand sich eine Eisenwarenhandlung. Im Schaufenster lag in hübscher Anordnung allerlei Werkzeug aus. Sätze von Schraubenschlüsseln und Schraubenziehern, Heftmaschinen und Elektroschraubenzieher. Auch ein Lederköfferchen mit einem Satz deutscher Präzisionswerkzeuge. Es war nicht größer als eine Damenhandtasche, enthielt aber, fein verstaut, von der mittelgroßen Handsäge über Hammer und Stromprüfer alles, was man so braucht. Daneben lag ein dreißigteiliger Satz Schnitzwerkzeuge. Dass es dreißig und mehr Schnitzklingen geben könne, war mir bisher noch nie in den Sinn gekommen; sie so beieinander zu sehen, überraschte mich nicht wenig. Jede war anders geformt, ein paar in einer Weise, dass ich mir nicht vorstellen konnte, wie man sie benutzen sollte. Verglichen mit dem Spielhallenkrach war es in der Eisenwarenhandlung still wie auf der rückwärtigen Seite eines Eisberges. Hinten in dem dunklen Laden saß ein schütterer, bebrillter Mann mittleren Alters hinter der Theke und nahm mit dem Schraubenzieher etwas auseinander.
    Ich hatte, einer Eingebung folgend, den Laden betreten und suchte nach einem Nagelknipser. Sie lagen neben den Rasiersets, schön aufgereiht wie Schmetterlinge auf dem Spannbrett. Einer war dabei von so merkwürdiger Form, dass mir absolut nicht klar war, wie man sich damit die Nägel knipsen sollte. Den nahm ich und brachte ihn zur Theke. Es war ein etwa fünf Zentimeter langes, schlankes Stück Edelstahl; wo man wie drücken musste, um sich die Nägel kürzen zu können, war

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