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Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Titel: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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fertig war, bedauerte ich aufrichtig, aber immerhin war ich so an das Sofa gekommen: ein Glücksfall. Jedenfalls würde ich mir kein neues kaufen müssen.
    Ich saß ganz rechts auf dem Sofa und umklammerte meine Dose Bier, der Knirps saß ganz links, an die Armlehne gelehnt, die Beine übereinander geschlagen. Trotz des Höllenlärms ließ sich keiner meiner Mitbewohner blicken. Auf meiner Etage wohnten fast ausschließlich Alleinstehende, sodass an Werktagen, wenn nichts wirklich Außergewöhnliches anstand, tagsüber niemand da war. Veranstalteten die beiden deshalb so ungerührt diesen Krach, weil sie das wussten? Höchstwahrscheinlich. Die wussten alles. Sie führten sich auf wie die Berserker, gingen aber doch systematisch und planvoll vor.
    Der Knirps schaute ab und zu auf seine Rolex, als prüfe er den korrekten Arbeitsablauf, während der Riese ohne jede überflüssige Bewegung der Reihe nach alles, was ihm in die Finger kam, zertrümmerte. Bei einer so gründlichen Durchsuchung hätte ich nicht einmal einen Bleistift verstecken können. Aber die beiden suchten ja, wie der Knirps zu Anfang behauptet hatte, nichts. Sie demolierten nur.
    Doch wozu?
    Um einen Dritten glauben zu machen, dass sie etwas suchten.
    Wer war der Dritte?
    Ich überlegte nicht weiter, trank den letzten Schluck Bier und stellte die leere Dose auf dem niedrigen Tisch ab. Der Riese öffnete den Geschirrschrank, fegte die Gläser auf den Boden und widmete sich dann den Tellern. Er zerschlug alles, den Teekocher und die Teekanne, das Salzfässchen, die Zucker- und die Mehldose, alles. Der Reis fand sich auf dem Fußboden wieder. Dasselbe Schicksal ereilte die tiefgefrorenen Lebensmittel. Ein Dutzend steinharte Garnelen und Rindfleischfilets und Eiskrem und ein zirka dreißig Zentimeter langer Schlauch Tomatensoße, die ich versuchsweise mit Sahne und Lachsrogen verfeinert hatte, polterten mit einem Getöse auf den Linoleumboden, als schlüge ein Meteoritenschwarm auf Beton.
    Danach hob der Mann den Kühlschrank an, zog ihn vor und stieß ihn so um, dass er seitlich zu liegen kam. Ein Funkenregen ging nieder – offenbar hatte es am Radiator einen Kurzen gegeben. Was sollte ich dem Elektriker als Erklärung anbieten? Mir schwirrte der Kopf.
    So plötzlich, wie die Zerstörung begonnen hatte, war sie vorbei. Kein Wenn, kein Auch, kein Aber, kein Obwohl – von einem Augenblick auf den anderen war alles vorüber, herrschte Stille. Der Riese, der sein Pfeifen eingestellt hatte, stand im Türrahmen zwischen Küche und Wohnzimmer und sah mich unbestimmt an. Wie lange er gebraucht hatte, meine Wohnung in einen Schutthaufen zu verwandeln, vermochte ich nicht zu sagen. Zwischen einer Viertel- und einer halben Stunde, um diesen Dreh. Etwas länger als eine Viertelstunde, etwas weniger als eine halbe. Von dem zufriedenen Gesichtsausdruck des Knirpses her zu urteilen, der das Zifferblatt seiner Rolex befragte, musste er jedenfalls in etwa in der Zeit gelegen haben, die man normalerweise braucht, um eine 2-ZKB-Wohnung zu demolieren. In der Welt gibt es wirklich für alles und jedes Normzeiten und Mittelwerte, vom Marathonlauf bis zur Blattzahl des pro Toilettenbesuch benutzten Klopapiers.
    »Das Aufräumen wird Zeit kosten«, sagte der Knirps.
    »Ohne Frage«, sagte ich. »Und Geld.«
    »Geld hat hier keine Rolle zu spielen. Das ist Krieg. Wer Taler zählt, kann keinen Krieg gewinnen.«
    »Das ist nicht mein Krieg.«
    »Wessen Krieg, tut nichts zur Sache, ebenso wenig, wessen Geld. So ist das im Krieg.«
    Der Knirps zog ein blütenweißes Taschentuch aus der Hosentasche, hielt es sich an den Mund und hustete ein paar Mal. Dann betrachtete er es eine Weile und steckte es wieder ein. »Später, wenn wir weg sind, werden welche vom System kommen. Denen wirst du hübsch von uns berichten. Wir hätten dich überfallen und die Wohnung nach etwas durchsucht. Dann hätten wir dich gefragt, wo der Schädel sei. Von einem Schädel hättest du aber nichts gewusst, rein gar nichts. Kapiert? Und was du nicht wüsstest, hättest du weder verraten noch preisgeben können. Auch nicht unter Folter. Wir wären also wieder mit leeren Händen abgezogen.«
    »Unter Folter?«, sagte ich.
    »Man wird dich nicht verdächtigen. Dass du beim Professor im Labor warst, wissen die nicht. Zurzeit wissen das nur wir. Deshalb wird man dir nichts tun. Du bist ein hervorragender Kalkulator, man wird dir glauben. Man wird annehmen, wir seien von der Fabrik. Und entsprechend in Aktion

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