Hard Man
danach, als würde Jacob irgendwas brummein, von wegen er sei ein Arschloch. Was das allererste Mal war, dass Wallace Jacob fluchen hörte. Scheiße, musste der sauer sein. Vielleicht dämmerte ihm ja allmählich, was sein bester Kumpel getan hatte, der beschissene alte Schwachkopf.
Gegen seinen Willen fragte Wallace sich, wieso eigentlich. Aber es war nicht seine Sache, das zu erraten. Wer wusste schon, was im Kopf des alten Knackers vorgegangen war?
Wie dem auch sei, Wallaces Arm tat immer noch weh. Nein, >wehtun< war nicht das richtige Wort. Es fühlte sich an, als würde ein wild gewordener Hund an ihm knabbern. Er musste so schnell wie möglich verbunden werden, aber wenn man hinschaute, schien er nicht allzu schlimm zu bluten. Er schüttelte ihn, und da plätscherte gar nicht so viel herunter. Allerdings musste er ihn wahrscheinlich säubern lassen. Man konnte ja nie wissen, wo die Kugel überall gewesen war. Aber eins nach dem andern.
Norrie lag jetzt im Schrank flach auf dem Boden und keuchte. May und Jacob schauten ihn an, und May versetzte ihm halbherzig einen Tritt, dann stand sie still, kreuzte die Arme vor der Brust und sah Wallace an. Sie löste den Blick nicht von seinem Arm.
Wallace nahm die Kugeln aus Norries .38er. Es war nicht einfach, denn die Finger seines verletzten Arms waren kalt. Er spürte, dass May und Jacob beide erwogen, ihn anzugreifen. Vielleicht sich auf ihn zu stürzen, weil sie dachten, er sei verletzt und sie könnten es deshalb mit ihm aufnehmen. »Ich würd’s lieber nicht versuchen«, sagte er. Sie hielten Abstand.
Sobald er alle Kugeln herausgenommen und in die Tasche gesteckt hatte, warf er den Revolver in den Wandschrank. Er hatte eine Idee.
»Geh da rein zu deinem Freund«, sagte er zu Jacob.
»Ich kann May nicht alleinlassen.«
»Geh rein.«
»Tut mir leid. Ich kann nicht.«
»Dann erschieß ich dich, Jacob.«
»Aber ich kann sie doch nicht alleinlassen.«
»Ich schaff das schon, Dad. Tu, was er sagt.«
»Hör auf deine Tochter, Dad.«
»Aber ich kann nicht. Verstehst du das denn nicht?«
»Bitte, Dad. Geh rein in den Schrank. Er wird dich nicht umbringen.«
»Ich mach mir keine Sorgen um mich, May.«
»Langsam wird ich ungeduldig, Jacob.«
»Tut mir leid, Dad.« May trat hinter ihn und gab ihm einen Schubs in den Rücken. Er stolperte in Richtung Tür. Sie schubste ihn erneut, und er torkelte hinein.
Jacob drehte sich um. »Ach, May. Mir tut es leid.«
»Jacob?«, sagte Wallace.
Der alte Knabe schaute ihn aus tränenverschleierten Augen an.
»‘n Geschenk.« Wallace ließ die Hand in die Tasche rutschen. Er holte eine Patrone heraus und warf sie in den Schrank. Dann knallte er die Tür zu und schloss sie ab.
»Und was jetzt?«, sagte May zu Wallace.
»Verbind mir den Arm.«
May starrte ihn an. »Wie komm ich dazu?«
»Weil ich dich abknalle, wenn du’s nicht machst.«
»Ich bin keine Krankenschwester.«
Wallace nahm den Revolver in die andere Hand und zerfetzte seinen Hemdsärmel in einem jähen, schmerzhaften Ruck. Reichte ihr den zerrissenen blutbefleckten Stoff. »Wickel das fest um die Wunde.«
Sie nahm den Hemdsärmel, und er wechselte den Revolver wieder in die gesunde Hand. Sie tat wie befohlen, band den Stoff oben zu einem Knoten. »Und jetzt?«, fragte sie.
»Wir machen ‘ne Spritztour. Ich will dir was zeigen.«
»Und dann?«
»Geduld. Abwarten und Tee trinken.«
Wallace öffnete die Haustür, halb gefasst darauf, draußen das Überfallkommando zu sehen, doch anscheinend hatte niemand gemeldet, etwas gehört zu haben. Genau wie damals, als Rog Wallace einen Besuch abgestattet hatte. Edinburgh war wunderbar. Man hörte Schüsse und beschloss, dass es etwas anderes war. Niemand feuerte Schüsse in Edinburgh ab. So was kam nur in Glasgow vor.
Etwas streifte sein Bein, und May schrie auf, als der dreibeinige Hund jaulend über den Gartenpfad und auf die Straße hinaushoppelte.
Die verängstigte kleine Töle kam nicht weit. Verkehrsreiche Straße eben.
Jacob hörte, wie sich die Haustür schloss. May war weg. Er hatte es verpatzt. Nach all ihren Vorsichtsmaßnahmen, nach all ihren fehlgeschlagenen Versuchen, sie zu beschützen, Pearce auf ihre Seite zu ziehen, hatte Wallace sie doch noch erwischt. Pearce musste tot sein. Und May war es so gut wie.
Am liebsten wäre er auf die Knie gesunken und hätte geheult. Erbärmlicher alter Trottel, der er war.
Irgendwie hätte er sie beschützen müssen. Aber wie hätte er das tun
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