Hard Man
sollen, ohne erschossen zu werden? Nicht dass es ihm etwas ausgemacht hätte, erschossen zu werden. Nein, was er meinte, war, dass er sie nicht hätte beschützen können. Bei jedem Versuch wäre er erschossen worden wie Norrie, keine Frage. Und dann hätte er überhaupt keine Chance mehr gehabt, sie zu beschützen. So wie die momentane Lage war, konnte er ja vielleicht doch noch was ausrichten. Ja, irgendwas.
Obwohl er im Augenblick nicht genau wusste, was das sein sollte.
Er langte hinter sich und tastete nach der Taschenlampe. Fand sie, schaltete sie an. Jacob leuchtete nach Norrie. Der presste gurgelnd beide Hände auf den Bauch, während zwischen den Fingern in kleinen Schwallen das Blut hervorquoll. Und Blut sickerte ihm aus dem Mund, als er versuchte zu sprechen.
Jacob hob den entladenen Revolver auf, und leuchtete mit der Taschenlampe nach der Patrone. Feiner Zug von Wallace, dass er sie ihm geschenkt hatte. Jacob wusste natürlich, wieso. Das sadistische Schwein wollte, dass er Norrie aus seinem Elend erlöste. Obwohl sich Jacob auch die Frage aufdrängte, ob Wallace nicht damit gerechnet hatte, dass Jacob den Revolver gegen sich selbst richten würde.
Denn wenn der beste Freund so etwas tut, dann hat man eigentlich keine große Lust mehr, weiterzuleben. Das Gottvertrauen ist zerstört, und man muss alles infrage stellen. Nichts ist mehr, was es zu sein scheint.
Da war sie. Er pulte die Patrone von hinten im Schrank heraus, ließ die Trommel des Revolvers aufschnappen und schob die Patrone ins Magazin. Sollte er eine Kugel in Norries Schädel jagen oder in den eigenen? Er richtete die Waffe auf Norrie.
Norries Augen weiteten sich. Er spuckte einen Mund voll Blut aus, das ihm übers Kinn sprühte. Er öffnete den Mund mit rotfleckigen Zähnen und musste husten, als er zu sprechen versuchte.
»Streitest du ab, dass du auf Rog geschossen hast?«, fragte Jacob.
Norrie versuchte erneut, zu reden. Brachte schließlich heraus: »Nein, Boss.«
»Du streitest es nicht ab?«
»Genau.«
Jacob war verwirrt. Nicht dass es eine Rolle gespielt hätte. Norrie hatte eindeutig auf Rog geschossen. Die Frage war nur, warum. Jacob fragte ihn.
Keuchend schloss Norrie die Augen und öffnete sie wieder. Er hatte zweifellos fürchterliche Schmerzen, aber Jacob empfand kein Mitleid mit ihm. Ganz im Gegenteil. Es freute Jacob, dass sein alter Freund Schmerzen hatte. Jacob musste sich beherrschen, um sich nicht vorzubeugen und einen Finger in Norries Wunde zu bohren und fest zuzudrücken.
»Und Louis hast du auch umgebracht?«, fragte Jacob.
Norries Blick verschwamm, dann nickte er.
Jacob schüttelte den Kopf. Er kapierte es nicht, und Norrie würde nicht lange genug durchhalten, um es ihm zu erklären. Es sei denn, Jacob brachte ihn ins Krankenhaus. Die Sache war nur, dass Jacob es wirklich wissen wollte. Er wollte nicht, dass Norrie starb. Lag es an dem Unfall, dass Norrie sich so verhalten hatte? Die Leute sagten immer, dass Norrie nicht ganz richtig im Kopf sei, aber das hatte Jacob nie geglaubt. Mit Norrie war immer alles total in Ordnung, wenn Jacob dabei war. Gott schütze ihn, auch wenn Jacob nicht wollte, dass Norrie starb, so wollte er ebenso wenig, dass Norrie weiterlebte.
Also eins nach dem andern.
Jacob legte die Kanone vor seine Füße auf den Boden des Schranks. Dann steckte er die Hand in Norries Tasche. Bingo. Wallace hätte danach schauen sollen, aber wahrscheinlich war es ihm ziemlich egal, was jetzt noch passierte. Jacob zog Norries Mobiltelefon heraus und betete zu Gott, dass Norrie Flashs Nummer gespeichert hatte. Doch zunächst einmal musste Jacob rausfinden, wie das Mistding funktionierte.
Er wünschte, er hätte besser aufgepasst.
Schritt eins war, das Ding einzuschalten. Er konnte ums Verrecken keinen Ein-/Aus-Schalter entdecken. Was um alles in der Welt musste er machen? Er fragte Norrie.
Norrie keuchte und spuckte Blut auf sein Kinn. Jacob schüttelte den Kopf.
Norrie streckte die Hand aus, und Jacob gab ihm das Mobiltelefon. Norrie drückte mit dem Daumennagel ein winziges Knöpfchen und noch ein paar andere Tasten und reichte Jacob das Handy zurück.
Was jetzt? Die Nummer wählen, nahm Jacob an. Konnte er sich an Flashs Nummer erinnern? Das stand alles in dem Adressbuch neben dem Telefon im Flur. Nein, Jacob fiel die Nummer nicht ein. »Hast du die Nummer von Flash da drin?«, fragte er Norrie.
Aber Norrie hatte die Augen geschlossen und gab vereinzelte Blubbergeräusche von sich,
Weitere Kostenlose Bücher