Hard News
zurück in das Dorf, wo sie wieder bei ihren Eltern wohnte und einen Job annahm und einen netten Jungen heiratete, der auch aus Schnee gemacht war, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.«
»Die Geschichte gefällt mir«, sagte Courtney im Ton einer offiziellen Verlautbarung.
Claire kam an Deck. »Zeit fürs Bett.«
Courtney erhob keine größeren Einwände. Rune gab ihr einen Gutenachtkuss und half Claire, ihr den Schlafanzug anzuziehen und sie zu Bett zu bringen.
»Weißt du, wenn es dich interessiert«, sagte Claire, »in Boston ist es viel einfacher, Männer kennen zu lernen.«
»Willst du etwa, dass ich mit dir nach Boston gehe? Nur um Männer kennen zu lernen?«
»Na klar, wieso nicht?«
»Erstens, weil die meisten Männer Schrott sind. Wozu sollte ich irgendwo hingehen, wo es einfacher ist, Männer kennen zu lernen? Ich finde, du solltest besser dort hingehen, wo es schwieriger ist.«
»Was ist verkehrt an Männern?«
»Ist dir nichts aufgefallen?«, fragte Rune. »Wie viele Männer kennst du, deren IQ mit ihrem Alter Schritt hält?«
»Wirst du Sam heiraten?«
»Er ist ein toller Mann«, sagte Rune, der bei dem H-Wort mulmig wurde, ausweichend. »Wir verstehen uns wunderbar …«
Claire seufzte. »Er ist zwanzig Jahre älter als du, er verliert die Haare, er ist verheiratet.«
»Er lebt getrennt«, sagte Rune. »Na wenn schon, welchen Fünfundzwanzigjährigen mit Haaren hast du kennen gelernt, der ein so toller Fang gewesen wäre?« Sich selbst gestand sie jedoch ein, dass die Sache mit dem Verheiratetsein durchaus ein Problem war.
»Zieh nach Boston, und in sechs Monaten bist du verheiratet. Das garantier ich dir.« Claire drehte sich. »Wie seh ich aus?«
Wie ’ne Nutte um 1955.
»Einsame Spitze«, sagte Rune.
Claire griff nach ihrer Tasche und warf sie sich über die Schulter. »Ich bin dir was schuldig.«
»Und ob«, sagte Rune und schaute zu, wie sie auf hochhackigen Lederschuhen schwankend über die Gangway stöckelte.
6
Die Notiz von Maisel auf ihrem Schreibtisch am nächsten Morgen hätte deutlicher nicht sein können.
Suttons Büro. Sofort nach Eintreffen! Lee
Rune hatte schon eine Menge Notizen wie diese erhalten, und gewöhnlich bedeuteten sie, dass sie bei einer Prüfung durchgerasselt war, dass sie gefeuert oder angebrüllt wurde.
Mit klopfendem Herzen ließ sie ihren Tee auf dem Schreibtisch stehen und verließ das Studio. Zehn Minuten später stand sie vor Piper Suttons Sekretärin. Der gestrige Ausdruck des Entsetzens wegen Runes unbefugtem Eindringen war einer subtilen Schadenfreude gewichen.
»Ich soll mich bei …«
»Sie werden erwartet.«
»Ist es okay, wenn ich …?«
»Sie werden erwartet«, wiederholte die Frau munter.
Drinnen wandten Sutton und Maisel den Kopf und starrten sie an, als sie sich näherte. Rune blieb auf halbem Wege zu dem riesigen Büro stehen.
»Schließen Sie die Tür«, befahl Sutton.
Rune gehorchte und trat in den Raum. Sie lächelte Maisel an, der ihrem Blick auswich.
Oh, Junge, dachte sie. Oh, Junge.
Suttons Blick war steinhart. »Setzen Sie sich«, sagte sie, als Rune sich gerade in den Sessel gegenüber dem Schreibtisch fallen ließ. Rune lief ein Schauer über den Rücken, und ihr sträubten sich die Nackenhaare. Sutton warf eine Ausgabe eines der städtischen Boulevardblätter auf den Tisch. Rune griff danach und las einen Artikel, der mit dicker roter Tinte, die sich in die Fasern des Zeitungspapiers gefressen hatte, angestrichen war.
SENDER WILL MÖRDER SEINES LEITERS AUS GEFÄNGNIS BEFREIEN
Von Bill Stevens
Der Artikel war kurz, nur wenige Absätze. Er schilderte, dass eine Reporterin von Current Events über das Urteil gegen Randy Boggs, wegen Mordes an Lance Hopper recherchierte. Boggs’ Verteidiger, Fred Megler, wusste dazu nichts weiter zu sagen, als dass sein Klient stets seine Unschuld beteuert habe.
»Oh, Scheiße«, murmelte Rune.
»Wie?« Sutton trommelte mit ihren glänzenden Fingernägeln auf der Tischplatte. Sie waren so rot und hart wie die Politur auf einem Porsche. »Wie konnte das passieren?«
»Es ist nicht meine Schuld. Er hat mich angelogen.«
»Bill Stevens?«
»Das war nicht der Name, den er mir genannt hat. Ich war bei der Gefängnisverwaltung, und da kam so ein Typ und hat gesagt, er würde bei der Pressestelle arbeiten und könnte mir helfen, und er war total nett und hat mir sogar vertrauliche Informationen gegeben, und da hab ich angenommen, es sei
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