Hard News
einen Moment. »Er hat eine Menge für mich getan, für alle Praktikanten.«
Rune brach den düsteren Bann. »Keine Angst. Wir geben’s ihm zurück.«
Bradford richtete fragend seine blauen Augen auf sie.
»Wir finden den, der ihn wirklich umgebracht hat«, sagte sie.
8
Was ist das?
Rune schlug die Augen auf, starrte an die Schlafzimmerdecke ihres Hausboots und beobachtete die Reflexionen der Morgensonne auf dem gebrochenen Weiß.
Sie drehte den Kopf und blinzelte.
Irgendetwas stimmte nicht.
Sie spürte das sanfte Dümpeln des Bootes auf dem Hudson, dessen Wasser gegen den Rumpf plätscherte. Hörte das tiefe Grollen eines Schiffsmotors, scheinbar ganz nahe, aber wahrscheinlich zweihundert Meter entfernt – sie hatte gelernt, wie das Wasser den Schall leitete. Das Geräusch des Stoßverkehrs ebenfalls.
Was war es also? Was fehlte? Was war nicht da, was hätte da sein sollen?
Das Batik-Laken hatte sich in einem fein gewebten gordischen Knoten um ihre Füße gewickelt. Ihr weißes Joy-of-Movement-T-Shirt war bis zum Hals hochgerutscht, und die Haare hingen ihr ins Gesicht. Rune war eine unruhige Schläferin. Sie befreite ihre Füße und zog das T-Shirt herunter. Sie fegte einen Rest Pizzakruste vom Bett und setzte sich auf.
Gut, zum Teil war es die Stille – eine besondere Art von Stille, die Art, die von der Abwesenheit eines menschlichen Wesens herrührt.
Rune dämmerte, dass Claire gegangen war.
Die junge Frau hatte ab neun Uhr früh immer ihren Walkman eingeschaltet. Sogar oben im Schlafzimmer des Hausbootes konnte Rune gewöhnlich das raue Wummern der Dezibel hören, die Claires Trommelfelle killten.
Heute jedoch – nichts.
Rune ging zu dem weiß emaillierten Bug. Vielleicht ist sie ja früh aufgestanden und einkaufen gegangen, dachte sie. Aber nein, keiner ihrer Läden – Kleidung und Kosmetik – machte vor zehn oder elf auf.
Was bedeutete, dass sie sich vielleicht nach Boston abgesetzt hatte!
Und genau das war geschehen. Auf dem Tisch mitten im Wohnzimmer fand Rune den Zettel, den Claire hinterlassen hatte. Sie grinste wie ein Kind an Heiligabend, als sie die Worte überflog.
Ausgezeichnet!, dachte sie. »Danke, danke, danke …«
Auf dem Zettel stand geschrieben, wie sehr Claire es zu schätzen wisse (falsch geschrieben), was Rune in den vergangenen Wochen (sechseinhalb) für sie getan hatte, obwohl sie so eine launische Zicke war, aber das sei gut, denn wenn sie mit ihr zusammenleben könne, dann könne sie mit jedem zusammenleben (Rune versuchte zu entwirren, wer die verschiedenen sies waren, und das Ergebnis gefiel ihr nicht).
Claire erklärte, sie gehe nach Hause zu ihrer Mutter in Boston, wie sie’s gesagt hatte, und sie denke daran, wieder zur Schule zu gehen. Einen langen Absatz, den letzten, verwendete sie darauf, wie froh sie sei, dass Rune und Courtney so gute Freunde waren und dass sie so gut miteinander auskamen, denn …
Das Lächeln erlosch.
… sie wüsste, dass Rune gut für das Mädchen sorgen würde.
Oh, Scheiße …
Rune stürzte in den kleinen Laderaum im Bug des Bootes, den Raum, den Claire und Courtney sich geteilt hatten.
Gottverdammt!
Das kleine Mädchen lag schlafend auf Claires Futon, ein mutiertes Stofftier, das einst ein Häschen gewesen sein mochte, in den Händen.
Blöde Kuh! Claire, wie konntest du nur?
Rune verschaffte sich rasch einen Überblick. Der Raum war weitgehend leer geräumt. Claire hatte ihre Kleider und ihren Schmuck mitgenommen, wie auch die ganzen anderen Gegenstände, die die von Staub freien Quadrate und Kreise und Dreiecke auf der Kommode eingenommen hatten.
Alles weg – bis auf Courtneys Spielsachen und Kleider und ein Poster der Jackson Five, das Claire aufbewahrt hatte, um darauf zu warten, dass es wieder schick genug war, um es aufhängen zu können.
Blöde …
Rune rannte nach draußen, um den Brief noch einmal zu lesen.
… Kuh!
In dem Brief stand nur, dass sie hoffe, irgendwann einmal zurückzukommen, um Courtney abzuholen und ihr das Zuhause zu geben, das sie brauche und verdiene.
Irgendwann einmal?
Rune schwitzte. Sie spürte, wie ihre Kopfhaut prickelte. Ihre Finger machten Flecke auf dem Papier.
Keine Adresse. Keine Telefonnummer.
Sie erinnerte sich nicht einmal mehr an Claires Nachnamen – das Mädchen hatte im Hinblick auf den Tag, da sie ein professionelles Model sein würde, immer wieder neue Künstlernamen ausprobiert.
Rune kehrte in den Raum zurück und durchsuchte ihn gründlich. Der einzige
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