Hard News
Sie musterte die abgestoßenen Gitterstäbe am Fenster und fand, dieses besondere Metall sei stärker als alles, was sie je gesehen hatte.
Sie schaute durch die verschmierte Scheibe, als Randy Boggs den Raum betrat.
Er war dünner, als sie es erwartet hatte. Von vorne sah er am besten aus; wenn er den Kopf drehte, um einen Wärter anzuschauen, bekam sein Kopf etwas Vogelartiges – wie der eines Spechts. Seine Haare waren länger als auf dem Band, das sie gesehen hatte, und die Schmalzlocke war verschwunden. Die Haare glänzten immer noch von dem Öl oder der Haarcreme, womit er sie in Form hielt. Seine Ohren waren lang und schmal, und Büschel blonder Drahthaare wuchsen aus ihnen heraus. Sie nahm dunkle Augen wahr, die durch einen überstehenden Knochen noch dunkler wirkten, und dichte zusammengewachsene Augenbrauen. Seine Haut war ungesund; in seinem Gesicht waren zerfurchte Stellen wie Städte auf einem Satellitenfoto zu sehen. Es schien sich jedoch um einen vorübergehenden Mangel zu handeln – der durch gutes Essen und Schlaf behoben werden konnte.
Boggs drehte sich nach dem Wärter um. »Könnten Sie uns alleine lassen?«, fragte er.
»Nein«, antwortete der Mann.
»Mir ist’s egal«, sagte Rune zu dem Wärter.
»Nein.«
»Klar«, sagte Boggs so fröhlich, als sei er gerade als erster Baseman für ein Baseballspiel ausgewählt worden. Er nahm Platz. »Warum haben Sie mich sehen wollen, Miss?«
Als sie ihm davon erzählte, wie sie den Brief bekommen hatte und dass sie die Story machen wollte, wurde sie ganz aufgeregt. Es lag nicht an der Umgebung; es lag an Boggs selbst. Die Intensität seiner Ruhe. Das ergab eigentlich keinen Sinn, aber sie dachte darüber nach und stellte fest, dass sie genau das empfand: Er war so voller Frieden, dass sie spürte, wie ihr eigener Puls sich beschleunigte, ihr Atem schneller kam – als reagierte ihr Körper auf diese natürliche Weise, weil seiner nicht dazu in der Lage war.
Sie ignorierte ihre Gefühle indessen und machte sich an die Arbeit. Rune hatte schon öfter Leute interviewt. Sie hatte die Kamera vor ihnen aufgebaut, sie in das heiße Licht der Scheinwerfer getaucht und ihnen dann hundert Fragen gestellt. Manche hatte sie eingeschüchtert und ihnen möglicherweise die falschen Fragen gestellt, aber sie hatte ein Talent dafür, Leute zum Reden zu bringen.
Boggs allerdings machte eine Menge Arbeit. Obwohl er den Brief an den Sender geschrieben hatte, fühlte er sich in Gegenwart von Reportern nicht wohl. »Halten Sie mich nicht für undankbar«, sagte er mit leiser Stimme; seine Worten hatten einen Hauch von Südstaatenakzent. »Aber ich bin … Na ja, es geht nicht gegen Sie persönlich, Miss, aber Leute wie Sie haben schließlich dafür gesorgt, dass man mich verurteilt hat.«
»Wie das?«
»Na ja, Miss, kennen Sie den Ausdruck ›Medienhetze‹? Ich hatte den noch nie gehört, aber als ich die Presseberichte über meinen Prozess gelesen habe, da wurde mir klar, was damit gemeint ist. Ich war nicht der Einzige, der das gedacht hat. Jemand, der in der Time interviewt wurde, hat gesagt, mein Prozess sei genau das gewesen. Ich hab einen Brief an Mr. Megler und an den Richter geschrieben, in dem stand, dass ich denke, es sei eine Medienhetze gewesen. Aber keiner von denen hat zurückgeschrieben.«
»Worum ging es bei der Hetze?«
Er lächelte und wandte den Blick ab, als wolle er seine Gedanken sortieren. »So wie ich es sehe, waren da überall so viele Reporter, die Sachen über mich geschrieben haben, dass die Geschworenen irgendwann im Kopf hatten, dass ich schuldig wäre.«
»Aber werden die …« Sie suchte nach einem bestimmten Wort. »Sie wissen schon, werden die Geschworenen nicht in Hotelzimmern festgehalten, ohne Zeitungen und Fernsehen?«
»Isoliert«, sagte Boggs. »Meinen Sie, das funktioniert? Es kam in Live um fünf am Tag, als ich verhaftet wurde und wahrscheinlich an jedem anderen Tag bis zum Prozess. Meinen Sie, es hätte einen einzigen Menschen gegeben, der mich nicht gekannt hat? Da hab ich aber meine starken Zweifel.«
Rune hatte ihm gesagt, dass sie für Current Events arbeitete, aber darauf war keine sichtbare Reaktion erfolgt; entweder verfolgte er die Sendung nicht, oder er wusste nicht, dass sie in dem Sender lief, dessen Angestellten er angeblich ermordet hatte. Oder es machte einfach keinen Eindruck auf ihn. Er starrte in die Kamera, die neben Rune auf dem Tisch stand.
»Kürzlich war ’n Filmteam hier. Haben irgend so ’n
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