Hard News
wahrscheinlich wären es nicht ihre Fingerabdrücke.«
»Wo ist denn Courtneys Vater?«
Rune runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf.
»Unbekannt?«, fragte Johnson.
»Höchst.«
»Beschreiben Sie mir ihre Mutter.«
»Claire ist ungefähr so groß wie ich. Sie hat im Moment dunkle Haare, aber ursprünglich waren sie ziemlich hell.«
Rune dachte einen Moment lang nach. »Sie hat ein schmales Gesicht. Schön ist sie nicht. Ich würd eher sagen hübsch …«
»Ich bin eigentlich eher an einer allgemeinen Beschreibung interessiert, anhand deren die Polizei sie aufspüren kann.«
»Okay, alles klar. Einssiebenundfünfzig, rabenschwarze Haare. Etwa fünfzig Kilo. Trägt meistens schwarz.«
»Großeltern oder Verwandte?«
»Ich kann nicht mal ihre Mutter finden – woher soll ich da die Onkel und Tanten kennen?«
»Sie ist wirklich anbetungswürdig«, sagte Johnson. »Hat sie irgendwelche gesundheitlichen Probleme? Nimmt sie irgendwelche Medikamente?«
»Nein, sie ist kerngesund. Das Einzige, was sie nimmt, sind Vitamine in Form von Tieren. Am liebsten mag sie diese Bären, aber ich glaube, nur weil sie Kirschgeschmack haben. Du magst Bären, nicht wahr, Schätzchen?«
Courtney hatte die Sardinen aufgegessen. Sie nickte.
»Okay, dann will ich Ihnen jetzt etwas über das Vorgehen von jetzt an erzählen. Wir sind hier das Amt für Kinderfürsorge, das ein Teil des Sozialamtes ist. Wir verfügen über ein Netz von Notfall-Pflegefamilien, bei denen sie etwa eine Woche lang untergebracht wird, bis wir ständige Pflegeeltern für sie gefunden haben. Wir hoffen, dass wir bis dahin die Mutter aufgespürt haben.«
Rune wurde flau. »Pflegeeltern?«
»Genau.«
»Äh, Sie wissen doch, was man so in den Nachrichten hört …«
»Über Pflegeeltern?«, fragte Johnson. »Die meisten dieser Geschichten hat sich die Presse aus den Fingern gesogen.« Ihre Stimme war hart, und Rune sah für einen kurzen Augenblick eine andere Mrs. Johnson vor sich. Unter dem roten Lippenstift und der spießigen Billigbluse schlug kein schlichtes Herz. Wahrscheinlich hatte sie das Erkennungszeichen einer Straßengang auf die Rundung der linken Brust tätowiert.
Die Frau fuhr fort. »Unsere Pflegeeltern werden wochenlang überprüft. Wenn man’s recht bedenkt, wer überprüft je natürliche Eltern?«
Gutes Argument, dachte Rune. »Darf ich sie besuchen?«
Die Antwort war eigentlich nein – das konnte Rune sehen –, aber Johnson sagte: »Wahrscheinlich.«
»Was passiert jetzt?«
»Die diensthabende Sozialarbeiterin wird Courtney zu der vorläufigen Pflegefamilie bringen.«
»Und ich muss gar nichts weiter tun?«
»Ihre Zuständigkeit ist hiermit beendet.«
Rune hasste diesen Amtsjargon. Es war, als würden die Wörter sie nehmen und schockgefrieren.
Sie wandte sich an Courtney. »Wirst du mich vermissen?«, fragte sie.
»Nein«, sagte das Mädchen.
Nein?
»Schätzchen«, sagte Johnson zu ihr, »würdest du gerne bei einer netten Mami und einem netten Papi wohnen? Sie haben Kinder genau wie du und würden sich riesig freuen, wenn du sie besuchst.«
»Ja.«
»Du wirst dort glücklich sein«, sagte Rune.
Wieso schluchzt sie nicht?
»Ich übernehme sie jetzt«, sagte Johnson. »Haben Sie ihre Sachen dabei?«
Rune übergab ihr die Tasche mit den abgewetzten Stofftieren und den neuen Kleidern. Johnson blickte Rune ins Gesicht. »Ich weiß, wie Sie sich fühlen«, sagte sie, »aber glauben Sie mir, Sie tun das Richtige. Sie hatten keine andere Wahl.«
Rune ging in die Hocke und schloss das Mädchen in die Arme. »Ich komm dich besuchen.«
Erst da dämmerte es Courtney, was hier vor sich ging.
»Rune?«, fragte sie unsicher.
Johnson nahm sie bei der Hand und führte sie den Flur entlang.
Courtney fing an zu weinen.
Rune fing an zu weinen.
Johnsons Augen blieben trocken. »Komm mit, Schätzchen.«
Courtney blickte einmal zurück. »Rune!«, rief sie.
Rune verließ den hässlichen Klotz von Gebäude und empfand ein Gefühl großer Freiheit.
Und gleichzeitig die Last der Schuld, die Gramm für Gramm ihren 45 Kilo entsprach. Aber das war okay. Sie hatte eine Story zu filmen.
Der Frühling im Gefängnis ist wie der Frühling in der Stadt, beinahe nicht zu spüren. Man nimmt ihn nur der Luft wegen wahr. Man riecht ihn, man schmeckt ihn, man empfindet ihn als Extraration Wärme. Er flirtet ein-, zweimal mit einem, dann ist es vorbei. Zurück an die Arbeit oder zurück in den Gefängnishof. Krokusse können Zement
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