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Hard News

Hard News

Titel: Hard News Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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angefreundet hatte, gab ihm Katzenwiege und noch ein paar andere. Wenn er seitdem den Wärter sah, zwinkerte er immer und sagte: »So läuft’s.« Boggs liebte Paul Therouxs Reiseberichte. Er versuchte sich auch an John Cheever. Die Short Storys gefielen ihm nicht, aber der Roman über das Gefängnis traf voll ins Schwarze. Klar, es ging ums Gefängnis, aber es ging auch um noch etwas mehr als ums Gefängnis. Das schien das Merkmal eines guten Buches zu sein. Dass es um etwas ging, dass es aber auch noch um etwas mehr ging, selbst wenn man nicht genau wusste, worum.
    Das Buch, das die kleine Reporterin ihm gegeben hatte, war nicht so gut, fand er. Der Stil war altmodisch, und manche Sätze musste er drei-, viermal lesen, um zu kapieren, was Sache war. Aber er blieb dabei, und gelegentlich nahm er es in die Hand und las ein Stück weiter. Er wollte es auslesen, aber nur um mit Rune darüber sprechen zu können.
    Das erinnerte ihn wieder an das Mädchen, und er fragte sich, wieso ihr Bericht am Dienstag nicht gekommen war. Rune hatte ihn nicht angerufen, um es ihm zu erklären. Andererseits war er sich aber auch nicht ganz sicher, welchen Tag sie gesagt hatte. Vielleicht hatte sie ja Dienstag in einer Woche gemeint. Wahrscheinlich hatte sie ›nächsten‹ Dienstag gesagt anstatt ›diesen‹ Dienstag; ›nächsten‹ und ›diesen‹ brachte Boggs immer durcheinander.
    Verdammt, die Kleine war schon was. Er hier hatte monatelang darüber nachgegrübelt, wie er aus dem Knast kommen könnte, hatte an Flucht gedacht, daran, krank zu werden, daran, Berufung einzulegen, und dann kommt sie und macht es für ihn, und es kostet ihn weder Mühe noch einen Cent.
    Er …
    Und da hörte er das Geräusch und verspürte den ersten Anflug von Angst.
    Das Gefängnis war alt, aber die Bibliothek war ein neuerer Anbau, von den Zellenblöcken entfernt. Sie sah aus und roch wie eine kleinstädtische Schule. Es gab nur einen Ein- und Ausgang. Er schaute sich um. Die Bibliothek war völlig menschenleer. Und da begriff er, dass die Parole ausgegeben worden war. Keine anderen Häftlinge, keine Wärter. Kein Bibliothekar hinter dem Tresen. Er hatte sich festgelesen und gar nicht bemerkt, dass alle anderen gegangen waren.
    Oh verflucht … Boggs hörte die langsamen Schritte mehrerer Männer, die durch den Korridor auf die bewusste eine Tür zukamen.
    Er wusste, dass Severn Washington draußen war, und er wusste, dass der große Schwarze so loyal war, wie es ein Freund im Gefängnis nur sein konnte.
    Aber das war eine große Einschränkung. Im Gefängnis.
    Drinnen ist jeder käuflich.
    Und wenn es hart auf hart kommt, kann jeder umgebracht werden.
    Boggs hatte immer noch keine blasse Ahnung, warum Ascipio es auf ihn abgesehen hatte. Aber es war klar, dass er auf der Abschussliste stand. Daran gab es keinen Zweifel. Und als er jetzt hörte, dass die Schritte sich der Tür näherten, wusste er – keine Vorahnung oder ähnliches – er wusste, dass etwas im Gange war.
    Instinktiv stand er auf. Mögliche Waffen waren: ein Buch oder ein Stuhl.
    Na ja, weder das eine noch das andere würde ihm irgendetwas nützen.
    Oh, nicht wieder das Messer. Dieses grässliche Gefühl der Glasklinge. Grässlich …
    Er schaute sich den Stuhl an. Er konnte ihn nicht in Stücke reißen. Und als er versuchte, ihn anzuheben, fuhr ihm von dem ersten Stich ein sengender Schmerz durch Rücken und Seite. Er versuchte es von neuem und schaffte es, den Stuhl vom Boden zu heben und mit beiden Händen zu halten.
    Dann sagte ihm etwas in seinem Kopf: Was soll’s?
    Sie würden hereinplatzen, ihn einkreisen, ihn sich schnappen. Er würde sterben. Was konnte er dagegen tun? Mit dem Stuhl auf sie losgehen? Einen umhauen, während ihm die anderen mühelos in den Rücken fielen?
    Daher setzte sich Randy Boggs, der Versagersohn eines Versagervaters, einfach vor einer Schultafel in einer schäbigen Gefängnisbibliothek auf den Stuhl und fing aus irgendeinem Grund an, urplötzlich und wie besessen, an Atlanta und das sonntägliche Mittagessen seiner Kindheit zu denken.
    Aus seiner Tasche nahm er das Buch, das die kleine Reporterin ihm geschenkt hatte, und legte die Hände darauf wie auf eine Bibel, was ihm mit einem Mal lustig vorkam, denn für die Leute aus der alten Zeit, die alten Griechen oder Römer oder was auch immer, war dieses Sagenbuch wahrscheinlich eine Bibel gewesen.
    Prometheus war befreit worden.
    Hier jedoch schien es nicht, als ob diese Geschichte sich wiederholen

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