Hardball - Paretsky, S: Hardball - Hardball
und drehte. Die Wohnung war versiegelt, aber nicht abgeschlossen. Mit einem leichten Schulterdruck ließ sich die Tür öffnen.
Der Brandgestank im Inneren des Apartments war so beißend, dass meine Augen zu tränen anfingen. Ich setzte die Brille auf und gleich wieder ab, denn mit den dunklen Gläsern konnte ich gar nichts mehr sehen. Vorsichtig bewegte ich mich rückwärts. Schwester Frances hatte den Tee aus der kleinen Küche geholt, und ich hoffte, dass ich dort vielleicht eine Taschenlampe finden würde. Ich stieß an verschiedene Möbelstücke, ehe ich schließlich unter meinen Fingern die Wand spürte und mich Schritt für Schritt vortastete.
Endlich fand ich die Schwingtür zur Küche. Sie war wie der Übergang von der Hölle zur Normalität. Auf der einen Seite standen und lagen die verbrannten, aufgeweichten Überreste des Lebens von Schwester Frances, auf der anderen erblickte ich eine aufgeräumte Idylle. Das Fenster war heil geblieben, und von draußen drang genügend Licht herein, dass ich den Herd, den Kühlschrank, die Regale und das Geschirr sehen konnte. Alles war sauber und ordentlich. Auf der Frühstückstheke standen eine Schüssel mit einem Löffel und ein Paket Cornflakes bereit, die Schwester Frances nicht mehr essen würde. Ich versuchte, das Licht anzuknipsen, aber offenbar war die Sicherung noch nicht erneuert worden.
Eine Taschenlampe konnte ich nicht finden, und die Kerze und die Streichhölzer, die ich entdeckte, wollte ich nicht in die Hand nehmen. Schon bei der Vorstellung zitterten meine Knie.
Als ich aus der Küche zurück ins Wohnzimmer ging, nahm ich eine Suppenkelle und eine Gabel mit. Ich blockierte die Küchentür mit einem Hocker, um etwas mehr Licht zu haben, dann begann ich zu suchen.
Als der erste Brandsatz durchs Fenster kam, hatte ich in der Nähe der Tür gesessen. Meine Handtasche hatte ich neben mir auf den Boden gestellt. Ich hockte mich hin und begann im Schutt zu wühlen. Meine Finger berührten eine feuchte, flockige Masse. Sie fühlte sich wie Salat an, aber dann merkte ich, dass es ein Buch war. Der ganze Boden war mit Büchern bedeckt. Meine Beine zitterten vor Müdigkeit und Kummer, als ich mich vorwärtsschob.
Das Nächste, was ich fand, war der verbrannte Rahmen des Stuhls, auf dem ich gesessen hatte, und eine abstoßende Styropormasse, die vermutlich einmal ein Kissen gewesen war. Dann stießen meine Finger auf ein Stück Glas. Behutsam schob ich es mit der Gabel erst in die Kelle und dann in einen der Plastikbecher, die ich aus dem Krankenhaus mitgebracht hatte. Beweisstück Nummer eins, dachte ich grimmig. Dann fand ich noch weitere Stücke: einen abgebrochenen Hals und den Teil eines Flaschenbodens. Ich sammelte alles in meinen improvisierten Behältern.
Leider hatte ich keine Möglichkeit, den Tatort zu fotografieren, und meine Behälter waren auch nicht steril genug, um zu verhindern, dass die Fundstücke durch fremde DNA kontaminiert wurden. Vor Gericht waren sie wahrscheinlich wertlos, aber sie würden mir vielleicht etwas über die Täter sagen.
Ich stand wieder auf. Mein ganzer Körper zitterte vor Müdigkeit und Erschöpfung. Am liebsten hätte ich mich an Ort und Stelle auf den schmutzigen, von verbrannten Büchern bedeckten Boden gelegt. Ich tastete nach der Wand, um mich abzustützen. Plötzlich musste ich an den Tag denken, als meine Mutter vom Arzt zurückkam und mir sagte, dass es keine Hoffnung, keine Behandlung und keine Hilfe mehr für sie gab. Ich sah ihre durchscheinende Haut und die großen, schwarzen Augen in ihren tiefen Höhlen. Victoria, mein Liebling, Verlust, Trauer und Tod sind Teil des Lebens auf diesem Planeten. Wir trauern alle, aber es ist egoistisch, die Trauer zur Religion zu machen. Du musst mir versprechen, dass du das Leben annimmst und dich niemals von der Welt abwendest wegen deiner privaten Sorgen .
Mein Kummer hatte sich in langem, kindlichem Schluchzen entladen. Und später in lautem Streit mit meinem erschrockenen, hilflosen Vater.
Carissima, dein Vater ist nicht so stark wie du oder ich. Er braucht deine Hilfe und nicht deinen Zorn. Du darfst dich jetzt nicht gegen ihn wenden .
Die Worte hatten mich damals nicht getröstet und boten auch jetzt keinen Trost. Sie waren eine Bürde, eine Last, die ich tragen musste: die Verpflichtung, stärker sein zu müssen als der stärkste Mensch neben mir. Schwester Frances war tot. Jetzt musste ich im Tod für sie sorgen, da ich sie im Leben nicht hatte schützen
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