Hardball - Paretsky, S: Hardball - Hardball
Als ich sie aufhob, zitterten meine Hände so stark, dass ich fürchtete, sie zu zerbrechen. Ich hielt sie gegen das Licht, um zu sehen, ob sie beschädigt waren. Zwei hatte ich im Lauf der Jahre zerbrochen und ein drittes leicht angeschlagen. Jetzt hatte ein viertes am Fuß einen Sprung.
Als ich das Glas in der Hand hielt, konnte ich meine Tränen nicht länger zurückhalten. Ich wusste noch genau, wann ich sie das erste Mal gesehen hatte: bei der Taufe von Bobbys und Eileen Mallorys erstem Kind. Damals hatte meine Mutter mir ihre Geschichte erzählt. Die Gläser waren ihrer Großmutter 1894 zur Hochzeit geschenkt worden. Obwohl sie ein sperriges und zerbrechliches Andenken waren, hatte meine Mutter sie von Pitigliano mit nach Siena genommen, wo sie sich auf dem Dachboden ihres Musiklehrers versteckte, als die Faschisten kamen. Auch in den Bergen hatte sie die Gläser immer bei sich gehabt, als sie darauf gewartet hatte, dass sie auf den kubanischen Frachter konnte, der sie in die Freiheit brachte. Nicht ein einziges Glas war zerbrochen. Und ich? Ich hatte jetzt schon die Hälfte von ihnen zerstört. Victoria Iphigenia, das Trampeltier.
Ich weiß nicht, wie lange ich so gesessen habe, während Mr Contreras voller Mitgefühl auf Zehenspitzen um mich herumtrippelte und Papiere und Bücher vom Boden aufhob. Peppy kam zu mir und legte ihren weichen Kopf in meinen Schoß. Ich legte das Glas beiseite, um sie zu streicheln, dann stand ich auf, um die Gläser wieder in mein Buffet zu stellen.
Dabei entdeckte ich das Fotoalbum meiner Eltern, das unter dem Tisch lag. Ich musste erneut auf die Knie gehen und zwischen den Tischbeinen durchkriechen, um es aufzuheben. Meine Augen brannten, und in meinen Händen pochte das Blut, trotzdem blätterte ich das Album rasch durch, um zu sehen, ob etwas fehlte. Einige Bilder hingen nur noch locker in ihren Foto-Ecken oder waren ganz herausgerutscht, und aus irgendeinem Grund fing ich an, sie einzeln wieder zurückzustecken, und natürlich fand ich auch eines, auf dem sich meine Eltern mit den venezianischen Gläsern zutranken. Ich zuckte zusammen.
Was fehlte, war das Foto meines Vaters mit seinem Softball-Team. Ich schaute unter den Tisch und blätterte das ganze Album noch einmal sorgfältig durch, aber das Bild blieb verschwunden.
32
Petra unter Druck
Gegen ein Uhr morgens waren wir mit dem Aufräumen fertig. Mr Contreras ließ mir beide Hunde zum Schutz da, und ich vergewisserte mich zweimal, dass alle Schlösser und die Riegel an den Fenstern gesichert waren, schlief aber trotzdem sehr schlecht. Jedes Mal, wenn Mitch im Schlaf mit den Pfoten scharrte oder ein Auto hupte, schreckte ich mit wild pochendem Herzen hoch, überzeugt, dass in der nächsten Sekunde jemand die Tür aufbrechen oder einen Molotowcocktail durchs Fenster hereinwerfen würde. Erst gegen fünf gab mir der heller werdende Himmel ein gewisses Gefühl der Sicherheit, und ich schlief doch noch ein.
Um neun Uhr weckten mich dann die Hunde, die winselten und an der Tür kratzten, weil sie in den Garten hinauswollten. Ich schlurfte hinter ihnen her und hockte mich mit dem Kopf auf den Knien auf die Veranda, bis mich die Sonnenhitze daran erinnerte, dass ich nicht ohne schützende Kleidung draußen sein durfte.
Ich ging also zurück ins Wohnzimmer und rief Petra an. Sie meldete sich erst, als ich schon dachte, die Mailbox würde sich einschalten.
»Ach, äh, Vic, ich kann das nicht machen, worum du mich gebeten hast.«
»Petra, was ist los? Ich kann dich kaum hören.«
»Ich kann jetzt nicht mit dir reden.« Ich hatte den Eindruck, dass sie nur flüsterte.
»Hör mal«, sagte ich scharf. »So geht das nicht. Was hast du in meiner Wohnung gemacht?«
»Nichts«, sagte sie. »Ich habe dein Ladegerät geholt und deinen Pass, und dann bin ich zu dir gekommen.«
»Und du hast nicht nach dem Baseball gesucht, den du unbedingt haben wolltest?«
»Nur ganz kurz. Ich hab in die Truhe geschaut, aber ich hab alles wieder ordentlich zurückgelegt. Also werd’ bitte nicht wütend, Vic. Ich kann jetzt nicht reden. Ich muss aufhören. Und diese Firma kann ich auch nicht für dich suchen.«
Sie flüsterte so hastig, dass ich gar nichts mehr sagen konnte, ehe sie auflegte. Ich trat ans Fenster und sah auf die Straße hinunter. Ich hatte Petra gesagt, ich ließe mich nicht an der Nase herumführen. Jetzt fragte ich mich, ob ich damit den Mund nicht zu voll genommen hatte. Irgendjemand führte mich nämlich sehr wohl an der
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