Hardball - Paretsky, S: Hardball - Hardball
Seit dem Tod meines Vetters Boom-Boom vor zwölf Jahren hatte ihn niemand mehr benutzt, und es verblüffte mich, ihn jetzt von den Lippen einer vollkommen Fremden zu hören. Ganz zu schweigen davon, dass Mr Contreras ihr Onkel Sal war und Mitch ihr die Stiefel ableckte. Wir waren sehr plötzlich zu einer großen Familie geworden.
Wir hätten sicher viel zu besprechen, sagte Mr Contreras. »Wir Mädchen« sollten ruhig rauf in meine Wohnung gehen, er würde uns dann später noch ein paar schöne Spaghetti kochen. Also gingen wir in den zweiten Stock hoch, und die Hunde rannten dabei vor uns her. Auf jedem Treppenabsatz blieben sie stehen und schauten sich um, weil sie ganz sicher sein wollten, dass wir ihnen auch folgten.
»Du hättest mir sagen sollen, dass du nach Chicago kommst«, sagte ich. »Du hättest gern bei mir wohnen können, während du dich hier einrichtest.«
»Ach, das ist alles so schnell gegangen. Ich habe es selbst erst vor einer Woche erfahren. Weißt du, ich hab Anfang Mai meinen College-Abschluss gemacht. Und dann bin ich mit meiner Zimmerkameradin nach Südafrika geflogen. Wir haben einen gebrauchten Land Rover gekauft und sind überall rumgefahren. In Kapstadt haben wir das Ding dann wieder verkauft und sind nach Australien weitergejettet. Jedenfalls, als ich nach Kansas City zurückkam, hat Daddy mich plötzlich gefragt, ob ich denn einen Job hätte. Und da musste ich natürlich Nein sagen. Und dann hat er gesagt, dass der Sohn von Harvey Krumas für den Senat kandidiert und ob ich nicht in seinem Wahlkampfteam mitmachen will. Daddy und Harvey sind nämlich zusammen zur Schule gegangen, also irgendwann in der Steinzeit. Und sie sind immer noch beste Freunde. Und wenn Harveys Kind Unterstützung braucht, dann muss Peters Kind eben helfen. Und deshalb bin ich jetzt da.« Sie lachte, und es klang wie ein lautes, heiseres Glockenspiel.
»Harvey Krumas? Ich hab gar nicht gewusst, dass er und dein Vater befreundet waren.«
»Kennst du ihn?« Petras Handy klingelte. Sie warf einen Blick auf das Display und steckte es wieder ein.
»Nein, Schätzchen! In diesen exklusiven Kreisen verkehre ich nicht.«
Krumas. In Chicago war dieser Name allgegenwärtig. Ganz egal, ob es um Schweinebäuche ging oder um Pensionsfonds. Wenn irgendwo in Chicago oder einem Dutzend anderer Riesenstädte überall auf der Welt ein neuer Wolkenkratzer gebaut wurde, konnte man sicher sein, dass Krumas Capital Management zu den dahinter stehenden Finanzinstituten gehörte.
»Ich dachte, weil mein Daddy und Harvey Krumas so gute Freunde sind, hätte dein Vater ihn vielleicht auch gekannt.«
»Mein Vater war schon zwanzig, als deiner geboren wurde«, erklärte ich ihr. »Ich weiß gar nicht, ob dein Vater das Haus in Back of the Yards noch gekannt hat. Als er in die Schule kam, hatte unsere Großmutter schon den Bungalow in Gage Park gekauft. Dann ist sie nach Norwood gezogen, auf der Northwest Side. Da hat sie gewohnt, als ich ein Teenager war. Für deinen Vater war eine Toilette im Haus schon eine Selbstverständlichkeit, mein Vater und dein Onkel Bernie, die beiden ältesten Brüder, mussten noch jeden Morgen die Nachttöpfe raustragen, als sie klein waren. Während der Depression haben Großvater und Großmutter Warshawski nicht mal fünfzehn Dollar pro Woche verdient.«
»Es ist doch nicht Daddys Schuld, dass seine Eltern ein schweres Leben gehabt haben«, protestierte Petra.
»Ach, Schätzchen, das hab ich auch gar nicht behauptet. Ich wollte dir nur erklären, dass unsere Väter in völlig verschiedenen Welten gelebt haben. Mein Vater ist damals zur Polizei gegangen, weil er da ein festes Einkommen hatte.«
»Aber mein Daddy hat auch hart gearbeitet!«, rief Petra. »In den Schlachthöfen!«
»Ich weiß. Unsere Großmutter hat nie verstanden, warum er in die Schlachthöfe ging, obwohl es viel bessere Jobs gab. Harveys Vater bot ihm einen Job bei Ashland Meats an, weil Peter und Harvey Freunde waren, und Peter hat ihn angenommen und wirklich das Beste daraus gemacht.«
Mein Onkel war zwar nicht gerade ein Milliardär, aber er hatte sein Leben lang gut verdient und war jetzt sehr wohlhabend. Wohlhabender jedenfalls als jeder andere in meiner Familie. Als die Schlachthöfe in den Sechzigerjahren von Chicago nach Kansas City verlegt wurden, ging Peter mit. Als mein Vater 1982 starb, war Ashland Meats ein Konzern mit fünfhundert Millionen Dollar Umsatz im Jahr, und Peter war Mitglied des Vorstands. Ich habe mich
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