Hardball - Paretsky, S: Hardball - Hardball
Nachbarschaft sehr gesteigert.«
Schwester Frances nahm ein Foto von ihrem kleinen Schreibtisch. »Das habe ich gefunden, nachdem Sie letzte Woche angerufen haben. Harmonys Mutter hat es mir geschenkt, nach der Beerdigung.«
Der alte Abzug zeigte dieselbe junge Frau, deren Gesicht ich schon aus dem Herald Star kannte. Aber hier sah sie noch wacher und attraktiver aus. Sie stand neben der SNCC -Gründerin Ella Baker. Beide Frauen lächelten, aber man spürte eine tiefe Ernsthaftigkeit in ihren Gesichtern, die auf die Bedeutung ihres Auftrags hindeutete. Die Inschrift auf dem Bild lautete: »Lass Gerechtigkeit vom Himmel fallen wie Regen.«
Ich gab ihr das Bild zurück. »Ich hoffe, Sie wissen, dass ich die Untersuchung über den Mord nicht neu aufrollen kann. Ich will lediglich Steve Sawyer finden, der wegen ihres Todes angeklagt worden ist. Am Telefon hatten Sie mir gesagt, dass Sie mit dem Urteil nicht einverstanden waren.«
»Nein, das war ich nicht«, sagte sie. »Gleich, als ich von der Verhaftung hörte, wollte ich zur Polizei gehen.« Schwester Frances runzelte die Stirn und trank einen Schluck Tee. »Wissen Sie, Harmony und ich sind nebeneinander marschiert, als sie plötzlich zusammenbrach. Ich dachte zuerst, es wäre die Hitze. Es war so wahnsinnig laut. Der Lärm, das Geschrei, die Hitze, der Hass … Wir konnten uns gegenseitig nicht verstehen, und schon gar nicht die einzelnen Stimmen des johlenden Mobs. Die jungen Männer aus der Nachbarschaft, die sonst mit den Straßengangs herumzogen, drängten sich dicht um die Anführer, Dr. King, Al Raby und so weiter, um sie vor dem Pöbel zu schützen. Sie marschierten ganz vorn, an der Spitze des Zuges.«
Schwester Frances lächelte schief. »Wir Frauen marschierten ganz hinten … Frauen und Kinder zuletzt, wenn es um die Öffentlichkeit und den Ruhm geht … Plötzlich ist Harmony getroffen worden. Es war ein solcher Schock, dass ich gar nicht klar denken konnte. Ich wusste nicht, was passiert war. Und nach dem Täter zu suchen, kam mir überhaupt nicht in den Sinn. Erst später, nach dem Begräbnis, als der Horror sich etwas gelegt hatte, fing ich an nachzudenken. Das tödliche Wurfgeschoss oder der Stich musste aus der wütenden Menge gekommen sein, die uns von allen Seiten bedrängte. Die Mitglieder der Straßengangs waren ja alle vorn bei Dr. King und Al Raby. Der Täter dagegen kam von der Seite, und das bedeutete, dass es kein Schwarzer gewesen sein kann. Wenn in der Menge ein Schwarzer gewesen wäre, hätte der Mob ihn gelyncht.«
Was ich da hörte, enttäuschte mich irgendwie. Hatte ich gehofft, sie könnte einen konkreten Täter benennen? »Sie haben also nicht gesehen, wer sie getötet hat?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe angeboten, vor Gericht auszusagen, aber Steve Sawyers Anwalt wollte mich nicht. Er weigerte sich, mich auf die Zeugenliste zu setzen, und als ich darauf bestand, vernommen zu werden, hat mein Bischof mich angerufen und gesagt, ich solle nicht aus der Reihe tanzen. Der Kardinal sei bemüht, die erhitzten Gemüter zu beruhigen, da solle ich die Leidenschaften nicht wieder aufrühren.« Sie lächelte traurig. »Heute würde mich so etwas nicht aufhalten. Aber damals war ich erst sechsundzwanzig, und ich wusste nicht, wie weit ich gehen konnte, ehe meine Vorgesetzten mich stoppen würden.«
»Was wollten Sie denn vor Gericht aussagen? Dass die Gangmitglieder vorn, Sie und Harmony aber hinten im Demonstrationszug gewesen sind?«
»Nein, nicht nur das. Einer der Jungs hatte eine Kamera. Er hat uns fotografiert, und ich hoffte –«
Ein lauter Knall unterbrach sie. Ein Schuss aus einem Gewehr? Oder war es ein Feuerwerkskörper? Ein Kanonenschlag? Ein M-80? Die Scheibe des Blumenfensters zersplitterte. Schwester Frances sprang auf, und im selben Augenblick flog eine Flasche mit einem verräterisch brennenden Lappen durchs Fenster.
»Raus hier! Gehen Sie in Deckung!«, schrie ich.
Sie bückte sich und wollte die Flasche aufheben, als eine zweite Flasche hereinflog, die sie am Kopf traf. Ihre Haare fingen Feuer. Ich riss die Tagesdecke vom Sofa und warf sie über die Nonne. Ich wickelte sie darin ein und rollte sie auf dem Boden herum. Dann hörte ich eine dritte Flasche hinter mir einschlagen. Von der Straße her kamen Schreie, dann hörte ich kreischende Reifen. Aber vor allem das Zischen des Feuers, das Knacken und Knistern, als die Flammen sich auf die Möbel und Bücher und auf mein Jackett stürzten. Schwer atmend
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