Hardball - Paretsky, S: Hardball - Hardball
vom Rauch, packte ich Schwester Frances und versuchte zugleich, die Flammen an meiner Jacke zu löschen. Als qualmendes Bündel taumelten wir – Nonne, Tagesdecke und Detektivin – zur Tür. Ich hob einen Arm, auf dem sich schon Brandblasen wölbten, zum Türknopf, und eine Sekunde später rollten wir auf den Flur.
25
Besucher nach dem Alphabet
Es war nach Mitternacht, und mein Vater war noch immer im Einsatz und musste sich irgendwo in der dunklen Stadt mit Randalierern herumschlagen. Die Leute warfen mit Molotowcocktails nach ihm. Ich stellte mir vor, wie die Flaschen ihm an den Kopf flogen, und schrie. Ich wollte ihn warnen, was unsinnig war, denn er war meilenweit weg und konnte mich sowieso nicht hören. Meine Mutter durfte nicht wissen, dass ich Angst hatte. Es machte alles noch schwerer für sie, wenn sie außer ihren eigenen auch noch meine Sorgen besänftigen musste.
Unser Haus war nie wirklich dunkel. Der schwefelgelbe Feuerschein der Hochöfen umhüllte es die ganze Nacht hindurch mit einer geisterhaften Helligkeit. Das Licht, das durch die Vorhänge drang, tat meinen Augen weh. Meine Arme schmerzten und meine Kehle war trocken. Ich hatte eine Halsentzündung. Irgendwo im Hintergrund sprach meine Mutter mit jemandem. Die Ärztin war da und fragte mich, wie es mir ging.
»Gut«, sagte ich. Wie könnte ich auch über eine Halsentzündung jammern, wenn mein Vater da draußen auf der Straße kämpfte?
»Wie heißen Sie?«, fragte die Ärztin.
»Victoria«, krächzte ich brav.
»Wer ist der Präsident?«, fragte die Ärztin.
Ich konnte mich nicht erinnern, wer der Präsident war. Panik stieg in mir auf. »Bin ich in der Schule? Ist das eine Prüfung?«
»Du bist im Krankenhaus, Victoria. Erinnerst du dich, wie du hergekommen bist?«
Es war nicht die Stimme meiner Mutter, aber jemand anderes, den ich kannte. Ich musste nach dem Namen suchen. »Lotty?«
»Ja, Liebchen.« Erleichterung erfüllte die Stimme. »Du bist in meinem Krankenhaus.«
»Beth Israel«, flüsterte ich. »Ich kann nichts mehr sehen.«
»Wir haben deine Augen bandagiert, um sie für ein paar Tage vor dem Licht zu schützen. Du bist ein bisschen angesengt.«
Feuer. Man hatte die Molotowcocktails nicht auf meinen Vater, sondern auf Schwester Frances geworfen.
»Die Nonne … Ist sie … Wie geht’s ihr?«
»Sie ist jetzt auf der Intensivstation. Du hast ihr das Leben gerettet.« Lottys Stimme zitterte.
»Meine Arme tun weh.«
»Du hast leichte Verbrennungen. Aber du hast sehr schnell Hilfe gekriegt, und die Haut ist nur an wenigen Stellen ernsthaft verletzt. In ein paar Tagen geht es dir wieder gut. Jetzt will ich vor allem, dass du dich ausruhst.«
Im Hintergrund hörte ich eine Männerstimme. Ich solle Fragen beantworten, sagte sie.
Lotty wies den Sprecher mit hoheitsvoller Stimme zurecht. Sie sei die behandelnde Ärztin, sie trage die Verantwortung, und ich würde keine Fragen beantworten, ehe sie nicht sicher sei, dass ich nicht mehr unter Schock stünde.
Lotty beschützte mich. Ich konnte mich ausruhen, ich konnte mich entspannen, denn hier war ich sicher. Ich sank wieder in Schlaf und ging durch ein Veilchenfeld. Ein Säbelzahntiger war auf der Pirsch. Ich duckte mich in die Veilchen, aber er konnte mich riechen. Mein Fleisch war verbrannt. Ich roch wie ein Steak auf dem Grill. Ich versuchte zu schreien, aber es kam kein Laut aus meiner geschwollenen Kehle.
Mühsam tauchte ich aus dem Traum auf und lag keuchend im Dunkeln. Ich tastete nach meinen Händen. Sie waren in Mull gewickelt, und der Druck war schmerzhaft, denn sie waren geschwollen. Behutsam versuchte ich nach den Blasen auf meinen Lidern zu tasten, aber auch die waren verbunden.
Eine Krankenschwester kam in mein Zimmer und fragte nach meinen Schmerzen. Ich sollte sie auf einer Skala von eins bis zehn bewerten.
»Ich glaub, ich hab schon Schlimmeres erlebt«, flüsterte ich. »Vielleicht eine Neun? Ist es Tag oder Nacht?«
»Nachmittag. Sie haben fünf Stunden geschlafen. Ich kann Ihnen noch was gegen die Schmerzen geben.«
»Wie geht es der Nonne, Schwester Frances?«
Ich spürte, wie sie sich näherte. »Ich weiß nicht. Meine Schicht hat gerade erst angefangen. Die Frau Doktor kann Ihnen das sagen.«
»Dr. Herschel?«, fragte ich. Doch ich fiel wieder zurück in meine Traumwelt.
Ein Baseball lag auf dem Küchentisch. Ein Güterzug fuhr vorbei und brachte das Haus, den Tisch und den Baseball zum Zittern. Es war Weihnachten, und mein Vater war
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