Hardcore Zen: Punk Rock, Monsterfilme & die Wahrheit über alles (German Edition)
(Tim zündete aber immerhin ein Räucherstäbchen an). Er wies uns nur an, auf diese Weise die nächsten zwanzig Minuten sitzen zu bleiben.
Zwanzig Minuten?!
dachte ich, wie auch jeder sonst aus dem Kurs.
Still sitzen?! Nichts tun?!
Die Hälfte der Kids aus dem Kurs starb fast beim bloßen Gedanken daran am Schock.
Ich war allerdings gespannt darauf. Ich hatte immer mal wieder zu meditieren versucht, seitdem ich ein paar Beschreibungen dazu in einer der Hare-Krishna-Zeitschriften gelesen hatte. Doch wie ich später erfuhr, haben es die Hare-Krishnas nicht so mit stiller Meditation. Für sie ist das Chanten von
„Hare Krishna
“ der einzige Weg, das zu erreichen, was sie als
transzendentales Bewusstsein
bezeichnen. Die Beschreibungen von Praktiken stiller Meditation in ihren Zeitschriften und Büchern wimmeln von Zeug über Typen, die sich die Sehnen auf der Unterseite ihrer Zunge abschneiden, damit sie sich die Zunge in die Nase schieben können, und ähnlichen abartigen Geschichten (wobei sich mir der spirituelle Nutzen solchen Verhaltens ehrlich gesagt nicht unmittelbar erschließt). Soweit ich zu jener Zeit wusste, waren sie die unbestrittene Autorität auf diesem Gebiet. Und ich hatte bestimmt nicht vor, mir meine Zunge aufzuschlitzen.
Also gab ich schließlich meine Meditationsversuche auf. Doch von Tim bekam ich Anweisungen von jemandem, der tatsächlich Ahnung davon hatte und es auch wirklich selbst tat. Ich malte mir aus, dass ich in Nullkommanix Visionen vierarmiger Krishnas und vom Himmel herabsteigender Vishnus haben würde. Oder vielleicht würde ich mich auch einfach im Nichts auflösen, ganz so wie im Beatles-Song „Tomorrow Never Knows“. Ich könnte ja vielleicht sogar ins Nirvana eingehen (ich glaube, darüber hatte ich mal was in einem Cartoon des
Mad Magazine
gelesen). Doch es tickte einfach nur beständig die Uhr, meine Beine begannen zu schmerzen und dumme Gedanken drifteten in meinem Kopf herum. Vielleicht machte ich es nicht richtig, überlegte ich. Vielleicht war das, was ich mit meinem dämlichen Geist auf diesem Kissen sitzend, an die Wand starrend tat, nicht ganz das Richtige.
Heute nach zwanzig Jahren Praxis kann ich zurückblicken und sagen:
Nö – das war’s schon
. Öde, öde, öde. Einfach nur dasitzen. Doch sogar damals, vom ersten Tag an, gab es da etwas beim Zazen, das sich einfach irgendwie
richtig
anfühlte.
Es war eine Praxis, die absolut nichts – und doch alles – verlangte. Es gab keine besonderen Anforderungen oder Anleitungen zu dem, was ich da eigentlich
tun
sollte, während ich dort saß, aber genau jene Tatsache verlangte, dass ich diese Übung
für mich selber
wertvoll machen musste. Ich bin immer schon ein Typ gewesen, der ständig mit irgendwas beschäftigt sein muss. Ich stehe nicht auf Abhängen, wie es ’ne Menge Leute tun. Ich hatte mich vor allem deshalb mit Kunst und Musik befasst, weil ich das Gefühl hatte, dass ich die Aktivitäten, an denen ich Spaß hatte, dadurch rechtfertigen müsste, dass ich dabei etwas produzierte. Ich mag’s nicht, Zeit zu verschwenden. Auf keinen Fall. Zazen eröffnete mir einen Weg, Nichts zu tun, während ich immer noch etwas tat, das mir irgendwie konstruktiv vorkam.
Was mir außerdem am Zen-Buddhismus gefiel, war, dass er ganz entschieden antisexistisch war. Die anderen Religionen, die ich kennengelernt hatte, einschließlich der Hare-Krishnas als Vertreter „östlicher Spiritualität“, waren im Großen und Ganzen Männervereine. Seit der Highschool waren viele meiner engsten Freunde Frauen. Meine Freundin Emily nannte mich einmal einen „fraulichen Mann“. Ich bin mir immer noch nicht ganz sicher, wie ich das auffassen soll. Und mit meinen langen Haaren und meinem recht schlanken Körperbau (diese Beschreibung ist mir jedenfalls lieber als „schmächtig“) hatte ich bis zum College mehr Erfahrung als die meisten anderen Typen darin gesammelt, von notgeilen Böcken in Cabrios angemacht zu werden. Buddha betonte, dass Frauen genauso gut wie Männer dazu in der Lage seien, Erleuchtung zu erlangen.
Von jenem Tag an machte ich das Praktizieren von Zazen zu einem festen Teil meines Tagesablaufs. Doch ich war ganz sicher nicht bereit, ein Leben als Zen-Mönch zu führen, was auch immer ich mir darunter vorstellte, denn immerhin war ich ein aufsteigender Star in der Indie-Musikszene! 1987 nahm ich eine weitere Platte auf, und im Jahr darauf stellte ich tatsächlich eine richtige Band zusammen und spielte mit ihr
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