Hardcore Zen: Punk Rock, Monsterfilme & die Wahrheit über alles (German Edition)
Serie von Standbildern zeigen. Die Illusion von Zeit wird dadurch erzeugt, dass die Momente deines Ichs so schnell vorbeirauschen, dass sie die Film-Standard-Geschwindigkeit von vierundzwanzig Bildern pro Sekunde so träge wie einen Gletscher aussehen lassen. Das Licht einer Glühbirne wird durch das ständige An und Aus des flackernden Glühdrahts erzeugt, und dennoch scheint das Licht beständig zu sein.
Echte Zeit ist allein dieser Moment. Er ist alles, was es gibt. Es gibt keinen Raum für eine Seele oder Wiedergeburt, denn um eine Seele zu haben, benötigst du eine Vergangenheit, und um wiedergeboren zu werden, benötigst du eine Zukunft. Doch wie ich schon die ganze Zeit erzähle: Die hast du nicht. Vergangenheit und Zukunft sind bloß Ideen. Wenn es keine Vergangenheit und keine Zukunft gibt, wird die Frage eines Lebens nach dem Tode, egal in welcher Form, einschließlich Wiedergeburt, vollkommen unbedeutend. Das ist es, was Gautama Buddha meinte, als er sagte: „Die Frage ist dem Fall nicht angemessen.“
Alle Probleme, die ich jemals hatte, rühren von dem Unwillen her, mich an das Leben zu halten, das ich gerade jetzt lebe. Und dasselbe gilt auch für all deine Probleme. Kläre dein falsches Verständnis der Zeit auf und all deine Probleme verschwinden. Einfach so.
MEINE FRAU ARBEITET AN DEN MEISTEN WOCHENENDEN und ich tu’s nicht. Doch letzte Woche hatte sie den Sonntag frei. Sie plante für uns einen Tag im Grünen in Kunitachi, einer Gegend im westlichsten Teil Tokios, wo es eine schöne Universität mit weitläufigen Anlagen und ein wundervolles chinesisches vegetarisches Restaurant gibt. Die ganze Woche über freute ich mich auf diesen Ausflug. Es war angenehm zu wissen, dass ich dorthin fahren und Zeit mit Yuka verbringen würde.
Es dauerte ewig, doch endlich kam der Sonntag. Da waren wir nun in Kunitachi und gingen spazieren, genossen den Sonnenschein und die frische Luft. Wir setzten uns auf eine Bank auf dem Campus, und ganz plötzlich entschied sich eine Horde Baseballspieler, sich direkt vor uns die Trikots vom Leib zu reißen und sich ihre Straßenklamotten anzuziehen. Ich war plötzlich betrübt: Verglich Yuka wohl ihre strammen, in Jockey-Shorts steckenden Arschbacken mit meinem labbrigen Mittdreißiger- Hintern?
Ein wenig später spürte ich, wie meine Füße langsam von der ganzen Latscherei wund wurden. Mir schoss der Gedanke durch den Kopf:
„Ich wünschte, ich wär’ zuhause.“
SO WAS PASSIERT JEDEM VON UNS ANDAUERND. Der einzige spezielle Trick, den Buddhisten haben, ist, es zu vermeiden, von solchen Gedanken plötzlich und unerwartet umgehauen zu werden, wenn sie aufkommen – wie Gedanken es immer tun werden. Ein Buddhist lernt, dass seine Gedanken bloß Gedanken sind, und nichts, was eine Reaktion erfordern würde. Aber die meisten von uns mästen sie: Ein kleiner Funke des Unmuts keimt in uns auf, und statt ihn einfach verglimmen zu lassen, fachen wir ihn an. Wenn wir richtig hart daran arbeiten, können wir einen winzigen Funken in Nullkommanix in eine tosende Feuersbrunst verwandeln. Und dann regen wir uns auf, weil es zu heiß wird. Wenn die Feuersbrunst aber einmal so groß geworden ist, ist es harte Arbeit, sie wieder zu löschen. Und was noch schlimmer ist, ist, dass wir keine Ahnung haben,
wie
man so was löscht. Unsere Bemühungen führen lediglich dazu, dass die Flammen immer größer und größer werden, bis sie komplett außer Kontrolle geraten und jeden einzelnen Moment unseres Lebens verzehren.
Wiedergeburt ist ziemlich stark in diesen Kram eingebunden. Wir versuchen einfach, für uns selbst die Existenz von etwas zu errichten, das keine Wirklichkeit hat. Wir versuchen, dieses Etwas aufrechtzuerhalten, das dafür sorgt, dass wir einen schönen Tag im Grünen verpassen, indem wir uns weismachen, dass wir zurück in der Stadt wesentlich zufriedener wären, und das uns die liebliche Kitschigkeit einer Dudelversion von „Smells Like Teen Spirit“ im Wartezimmer des Zahnarztes dadurch verdirbt, dass wir uns wünschen, wir könnten statt dessen zu Hause sein und uns Kurt Cobain anhören. Wir geben uns verflucht viel Mühe, genau das zu bewahren, was uns unglücklich macht. Wir klammern uns fest an unseren Schmerz, weil wir uns in der irrigen Annahme befinden, dieser Schmerz sei das, was wir wirklich sind. Wir definieren uns selbst durch das, was wir nicht mögen oder dadurch, was wir mögen. In beiden Fällen verfehlen wir die Wahrheit. Wir hegen eine
Weitere Kostenlose Bücher