Harlekins Mond
Teams werden von Erdgeborenen geführt, und es sind auch Erdgeborene, die den Großteil der Verwaltungsarbeit leisten.«
»Keine Mondgeborenen?«
»Nein.«
War nicht geplant gewesen, dass Harry Teams leiten sollte? Und sie selbst ebenfalls? Rachel lehnte sich näher zu ihrem Dad hinüber. »Es gibt einen Hohen Rat. Diejenigen, die ihm angehören, stehen über Gabriel. Er muss tun, was sie sagen. Aber er steht schon ziemlich weit oben. Ich wette, Shane und Star haben weniger Einfluss. Ich habe vorher noch nie auch nur ihre Namen gehört, und jeder auf der John Glenn kennt Gabriel. Aber ich weiß nicht, ob er wirklich irgendetwas ändern kann.«
Frank wirkte überrascht. »Ich dachte, Gabriel hätte die Leitung über alles.«
»Ich glaube, er leitet das, was auf Selene vor sich geht. Aber der Hohe Rat macht die Regeln, selbst für ihn.« Sie zitterte. »Eine von ihnen ist Kyu – sie ist hübsch und klug und hart; und dann ist da der Captain, der nicht viel sagt, aber wenn er etwas sagt, dann hören die Leute ihm zu. Cläre ist die Chefin der Terraformer, und damit ist sie wohl Gabriels Vorgesetzte, aber man bekommt sie nicht zu sehen, weil fast nie jemand vom Hohen Rat hier herunterkommt.«
»Ich bin ihr einmal begegnet«, sagte Frank. »Als ich noch ein kleiner Junge war.«
Rachel erschauderte. »Und dann gibt es da noch Ma Liren. Liren ist bösartig.«
»Gabriel war derjenige, der uns angerufen und gesagt hat, wir sollten dich abholen«, erklärte ihr Vater. »Rachel, ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals froher gewesen wäre, von irgendjemandem zu hören.« Frank fuhr sich mit seinen ungleichen Händen durchs Haar, dann verschränkte er sie und beugte sich vor. »Gabriel hat viel Gutes über dich erzählt. Er schien auch besorgt zu sein, dass dir die Heimkehr schwerfallen könnte. Auch deshalb habe ich deine alten Bilder für dein Zimmer herausgesucht. Gabriel hat mir gesagt, dass du wirklich schnell lernst, und dass es ein Privileg war, dass sie dich eingefroren haben. Ich war lange Zeit wütend auf Gabriel, weil ich dich so vermisst habe, aber wer würde nicht wollen, dass sein Kind länger lebt?« Er rieb sich das Gesicht, verbarg seine Augen vor ihr. »Entschuldige – ich rede Unsinn.« Er holte tief Atem, ließ die Hände sinken und blickte Rachel offen an. »Ich habe einfach nur Angst um dich, nachdem ich gesehen habe, wie du dich ihm gegenüber verhältst. Du kannst einem Mitglied des Rates nicht einfach sagen, was du zu tun gedenkst!«
»Vielleicht muss ihnen mal jemand sagen, dass sie uns besser behandeln sollen«, versetzte Rachel.
»Du bist wütend, Rachel. Ich kann es spüren. Wut und Schmerz über das, was du verloren hast. Du hast vieles verloren, und ich habe vieles verloren, aber du bist wieder hier. Und du hast noch immer deine Arbeit. Wir alle haben unsere Arbeit.«
»Ja, ich weiß«, sagte sie.
»Mach die Räte nicht wütend. Denk an den armen Andrew. Denk daran, dass es dir genauso ergehen könnte. Du bist es gewohnt, bevorzugt behandelt zu werden – du wirst bevorzugt behandelt. Aber das könnte man dir wegnehmen, und ich fände es furchtbar, wenn du deine Träume verlieren würdest.«
»Du meinst wohl, wenn ich noch mehr von ihnen verlieren würde?«
Ihr Vater lächelte nur sanft und nickte. »Du siehst müde aus. Wieso legst du dich nicht schlafen?«
»Gute Idee.« Sie umarmte ihren Dad fest und hätte ihn am liebsten nie mehr losgelassen.
Um Mitternacht wachte sie schweißgebadet auf, in dem Wissen, dass sie Gabriel niemals wieder so würde vertrauen können wie zuvor. Sie tanzte an mehr Fäden als nur an seinen, und auch er selbst war nur eine Marionette. Liren und Kyu und der Captain – sie alle besaßen mehr Macht als Gabriel. Treesa und Astronaut machten ebenfalls einen Unterschied aus, auch wenn Rachel ihn noch nicht verstand, inwieweit. Sie hatte immer geglaubt, alle Mitglieder des Rates sähen die Dinge auf die gleiche Weise. Doch sie stritten miteinander und intrigierten und verfolgten unterschiedliche Pläne innerhalb des großen Plans, auf dessen Verwirklichung sie alle hinarbeiteten: Selene zu verlassen. Gabriel wollte von Rachel, dass sie bei der Realisierung dieses Plans half, doch sie wollte nicht, dass die Räte fortgingen. Wie sollten sie auf Selene leben, ohne dass die Räte alles leiteten?
Rachels Gedanken wanderten zurück zu Treesa, und es war kein großer Trost, sich vorzustellen, sie selbst wäre eine alte Frau, die allein in einem Garten
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