Harlekins Mond
schien sie seine Gegenwart kaum wahrzunehmen. Die Art, wie sie auf ihn reagierte, hatte sich geändert. Früher hatte er stets das Gefühl gehabt, sie warte auf irgendetwas von ihm, doch nun schien sie nichts mehr zu benötigen außer ihrer Arbeit. Ganz sicher passte sie sich noch immer an die Veränderungen in ihrem Leben an, und die Arbeit musste für sie eine willkommene Ablenkung darstellen. Einmal, als er sie aus einiger Entfernung erblickte, sah er die Nässe von Tränen auf ihren Wangen.
Am dritten Tag klarte der Himmel auf, doch die Luft troff noch immer vor Feuchtigkeit. Eine Sonnenfinsternis stand bevor; Harlekin würde Apollo verdunkeln. Gabriel und Rachel machten eine freie Stelle mit einem hinlänglich dichten Blätterdach ausfindig, unter dem sie sich zusammenkauerten. Die Dämmerung der Sonnenfinsternis umfing sie. Zurück blieb das sehr viel schwächere Licht von Harlekin und der zitternde Schein der Laterne, die Gabriel aufgestellt hatte. Sie zitterten, denn selbst während sie sich an der Laterne die Hände wärmten, wurde ihnen am Rücken kalt. Gabriel erhitzte oben auf der Laterne Teewasser.
»Was für eine Aufgabe werde ich übernehmen, wenn wir zurück nach Aldrin kommen?«, fragte Rachel.
Keines der Mondkinder hatte irgendeinen interessanten Beruf. Sie waren allesamt Arbeiter. Gabriel hatte sich dieses Problem durch den Kopf gehen lassen; er wollte Rachel eine gewisse Verantwortung übertragen. »Du hast früher schon unterrichtet. Darin bist du gut.«
Sie lächelte ihm zu. »Ich möchte hier draußen bleiben. Ich würde am liebsten eine kleine Mannschaft nur aus Mondgeborenen mit mir nehmen und hier draußen bleiben und Dinge wachsen lassen. Ich möchte mich hier aufhalten, in der Wildnis, um dafür zu sorgen, dass alles funktioniert. Der Urwald hat sich verändert, während ihr mich eingefroren habt, aber Aldrin hat sich noch stärker verändert, und auf schlimmere Art.«
Gabriel wollte sie irgendwo haben, wo er sie leichter beobachten konnte. »Fang erst einmal an, indem du Unterricht gibst. Du verfügst über neues Wissen von der John Glenn. Du kannst das benutzen, um dich hier zu etablieren. Schließlich bist du nur ein paar effektive Jahre älter als einige der Schüler. Als Harrys Sohn, beispielsweise.« Er beobachtete ihre Reaktion.
»Er ist ziemlich aufgeweckt. Ich würde ihn gern mitnehmen, wenn wir auf Exkursionen ins Gelände gehen.«
Sie redeten über die Ameisen und andere Insekten. Rachel hatte die Idee, weite Gebiete direkt mit Saaten zu bepflanzen, und sie fuhr fort mit der Vorstellung, Boden mit Gräsern zu fixieren, um erst großflächige Steppen anzulegen und sie dann in Urwald umzuwandeln. Gabriel erkannte einige Vorgehensweisen wieder, die er selbst auf der Erde angewandt hatte. Sie musste Recherchen angestellt haben, von denen er nichts mitbekommen hatte.
Nach einer Weile begann sie, ihrer Phantasie freien Lauf zu lassen, doch es war ein gescheites Phantasieren. Es erinnerte Gabriel an seine eigenen Gedankenspielereien, und er blieb geduldig sitzen und korrigierte sie, wenn ihre Ideen auf fehlerhaften Annahmen beruhten. Die Unterhaltung bereitete ihm immenses Vergnügen, und er bedauerte es, als sich die winzige helle Scheibe Apollos hinter Harlekin hervorschob und den Tag erneut mit seinem Licht erfüllte.
Eine Stunde später stießen sie unvermittelt auf eine Gruppe Erdgeborener, die mit der Reparatur einer Pflugmaschine beschäftigt waren. Unter ihnen entdeckte Gabriel Nick, der sich über eine Achse gebeugt hatte und an einem Rad zerrte. Er machte Rachel auf ihn aufmerksam, die sich von hinten an ihn heranpirschte und dort stehen blieb, bis er sich umdrehte, ein Freudengeheul ausstieß und sie umarmte. Die übrigen Mitglieder der Gruppe blickten zu ihnen hinüber, verließen jedoch nicht ihre Posten, sondern arbeiteten weiter. Ein kleiner dunkelhaariger Mann wandte sich um, als er die lauten Ausrufe hörte. Er runzelte die Stirn und bellte Nick an, er solle gefälligst wieder an seine Arbeit gehen. Nick wandte sich wieder dem Pflug zu, und Rachel beugte sich unsicher hinüber, um ihm zu helfen. Der Mann trat auf Nick und Rachel zu, und Gabriel räusperte sich.
Der Mann wandte sich um und nahm Gabriel zum ersten Mal wahr. »Wer sind Sie?«
»Gabriel.« Er sprach seinen Namen sanft aus, und zuerst hatte es nicht den Effekt, den er erwartet hatte. Dann hielt der Mann inne, schaute genauer hin und brauchte einen Moment, um sich einzugestehen, dass Gabriel
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