Harlekins Mond
die beiden wiederzusehen.
Beim Anblick von Kyu verbarg Beth den Kopf an Gabriels Schulter und warf Rachel einen flehenden Blick zu.
Rachel streichelte ihr beruhigend die Wange. »Ist schon okay! Kyu war meine Lehrerin; ich habe dir von ihr erzählt, erinnerst du dich?« Sie lehnte sich nahe zu Beth hinüber und flüsterte ihr ins Ohr: »Sie zieht sich nur seltsam an.«
Ali nahm Rachel zwei der Rucksäcke ab, und Kyu ergriff den dritten mit einer Hand und drückte Rachel mit dem freien Arm an sich. »Du hast dich da unten wacker geschlagen, Rachel. Ich bin sehr stolz auf dich.«
Rachel mühte sich ein Lächeln ab und erwiderte: »Danke. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr du mir geholfen hast. Während des Feuers deine Stimme im Ohr zu haben war ein Gefühl, als hätte man einen Freund neben sich.«
»Das Feuer war Furcht erregend, nicht?«, fragte Kyu.
»Sehr.« Nun war Rachels Lächeln nicht mehr gespielt. Es tat gut, Kyu wiederzusehen. Sie hatte nicht geglaubt, dass sie Kyu vermissen würde. Während der vergangenen vier Jahre war sie so darin aufgegangen, sich dem alltäglichen Leben auf Selene anzupassen, dass sie Kyu nicht einmal Nachrichten geschickt hatte.
Ali sagte: »Und du bist also Beth Rachel! Ich habe deine Eltern kennengelernt, als ich das letzte Mal auf Selene war. Ich bin Ali, und das hier ist die Hohe Rätin Kyu.«
Beth bekam große Augen. »Es freut mich sehr, Sie beide kennenzulernen«, sagte sie leise.
Sie streckte eine Hand in Rachels Richtung aus; Rachel ergriff sie und versicherte ihr: »Es ist nur am Anfang so angsteinflößend. Wenn deine Beine wieder funktionieren, werde ich dich herumführen und dir alles zeigen.« Dann sah sie Kyu an. »Sie werden doch wieder funktionieren, nicht wahr? Ihr könnt sie in Ordnung bringen?«
»Es wird vielleicht eine Weile dauern«, meinte Kyu. »Und es gibt keinen besseren Zeitpunkt als jetzt, um damit anzufangen. Aber ich muss noch etwas mit Gabriel besprechen. Ali wird Beth zur Medizinischen Abteilung bringen.«
»Ich möchte sie begleiten«, bat Rachel in Erinnerung daran, wie fremdartig ihr die John Glenn bei ihrem eigenen ersten Aufenthalt an Bord vorgekommen war.
»Natürlich«, sagte Ali. Sie und Rachel fassten je eine Seite des Rückenstützbretts und machten sich den Gang hinunter auf den Weg.
Gabriel rief ihnen nach: »Ali, Rachel – sobald Beth schläft, treffen wir uns in der Garten-Cafeteria.«
Rachel fuhr herum und versuchte, ihre Alarmiertheit zu verbergen, die das Aufblitzen der Erinnerung mit sich gebracht hatte. »Ihr werdet sie doch nicht einfrieren?«
Kyu entgegnete: »Wir müssen sie herunterkühlen, damit die Nanodocs an ihr arbeiten können.«
»Aber ohne sie zu vereisen? Ihr werdet sie nicht einfach einfrieren und liegen lassen?«
»Heute nicht«, sagte Kyu mit einem leisen Lachen. »Versprochen!«
Rachel lachte; sie verstand die Bemerkung als freundlich gemeinten Scherz. Sie und Ali machten sich auf den Weg zur Medizinischen Abteilung, sie trugen Beth und schwatzten über das Feuer, sichtlich bemüht, das jüngere Mädchen von seinen Ängsten abzulenken.
Ein Meditech-Assistent nahm sie in Empfang und verabreichte Beth eine Spritze. Während Beth in den Schlaf sank, streichelte Rachel ihr den Arm, sang ihr etwas vor und redete mit ihr, versicherte ihr, dass alles gutgehen werde.
Ali saß währenddessen still in einem Sessel, bürstete sich das Haar und beobachtete Rachel nachdenklich. Beths Augen schlössen sich, und ihre Atmung wurde flach und regelmäßig.
Ali stand auf und bedeutete Rachel mit einer Geste, ihr zu folgen. Sie begab sich zügig zur Garten-Cafeteria, in der es so voll war, dass viele der Anwesenden stehen mussten. Rachel bemerkte eine Reihe neuer Gesichter. Liren stand allein im Hintergrund. Eine Frau, die ebenso klein war wie Kyu, bei der jedoch anstelle von Kyus Ebenholz- und Bronzetönen eisig blasse Farben vorherrschten, plauderte in vertraulichem Ton mit Gabriel und hatte ihm dabei eine Hand auf den Arm gelegt. Ein gedrungener Mann mit sandfarbenem Haar, den Rachel noch nie gesehen hatte, stand bei ihnen und hörte der kleinen Frau zu.
»Wer sind die beiden dort?«, fragte sie Ali flüsternd und zeigte auf die Frau und den Mann bei Gabriel.
»Die Frau bei Gabriel ist Erika. Der andere Mann ist Rieh Roberts, Spezialist für Humanressourcen«, erwiderte Ali. »Er hat entschieden, wer mit an Bord kommen durfte, und er interveniert bei Streitfällen zwischen Ratsmitgliedern. Rieh ist sauer
Weitere Kostenlose Bücher