Harlekins Mond
nimmst, ist Rachel nicht geholfen.« Aus Alis Worten sprach echte Gefühlstiefe, als hätte Kristin sie persönlich im Stich gelassen. Während des vergangenen Jahres, seit Ali warm geworden war, hatten sie und Rachel gemeinsam an der Fertigstellung von Räumen in der Zuflucht gearbeitet. Allerdings hatte er nicht gewusst, dass die jüngere Frau Ali so sehr am Herzen lag. Was war ihm sonst noch alles entgangen? Er sah Kristin an. »Wie es scheint, hat Ihre Tochter viele von uns nachhaltig beeindruckt. Helfen Sie mir, Informationen zu gewinnen, mit denen wir ihr werden helfen können.«
»Warten Sie. Sie sagten, Frank ist tot?«
»Allerdings.«
Kristin nickte ein drittes Mal; ihr Mund und ihr Gesichtsausdruck erinnerten eher an eine Porzellanpuppe als an einen Menschen. Doch als sie sich eine Ecke zum Arbeiten aussuchte, meinte Gabriel, auf ihrer rechten Wange einen feuchten Streifen zu sehen. Er hoffte es. Er startete einen Countdown, der die wenigen Stunden abzählte, bis er die John Glenn verlassen und sich selbst auf den Weg dorthinunter machen konnte. Er verfluchte die gutgemeinten medizinischen Bestimmungen, die ihn daran hinderten, sich für eine Dauer von mindestens vier Stunden nach dem Aufwärmen allzu weit von der Medizinischen Abteilung zu entfernen. Er besaß nicht die Befugnis, sich seine eigene Freigabe zu erteilen, wenn die Medizinische Abteilung kein grünes Licht gab.
KAPITEL 61
R ÜCKKEHR IN DIE GEFAHRENZONE
Rachel führte zwei Auseinandersetzungen gleichzeitig. Beth wollte mit ihr kommen. Rachel war darauf angewiesen, dass Beth hierblieb, um auf Sarah aufzupassen und den Rest der Gruppe zusammenzuhalten, und Untertan wollte von beiden Alternativen nichts hören. In diesem Augenblick hatte Rachel Beths Gesicht zwischen beide Hände genommen und blickte ihr geradewegs in die verquollenen, tränenfeuchten Augen. »Beth – ich werde mich jetzt nicht noch mit dir streiten. Du kostest mich unnötig Zeit.«
Beths Stimme zitterte. »Das ist mir egal! Ich komme mit. Dad ist dort.«
Rachel griff schließlich zu einem Trick, den sie bisweilen anwandte, um sich während ihrer langen nächtlichen Unterhaltungen mit Astronaut oder Untertan wach zu halten. Sie zog Beth kräftig an den Haaren. Beth jaulte auf.
»Ich möchte, dass du mir zuhörst«, sagte Rachel.
Beth nickte.
»Je länger wir uns hier streiten, desto mehr Zeit verlieren wir. Solange ich hier bin, kann ich dich davon abhalten, hier wegzugehen. Ich kann dich nicht davon abhalten, mir zu folgen, wenn ich selbst aufbreche. Aber im Augenblick werde ich dich nicht in Andrews Nähe lassen, nicht einmal, um Dylan und Harry zu retten. Entweder gehe ich allein, oder es geht keine von uns! Hast du das verstanden?«
Beth nickte unglücklich.
Untertan sprach weiter monoton in Rachels Ohr; seine seidige Stimme wirkte angesichts dessen, was er zu sagen hatte, merkwürdig teilnahmslos. »Du darfst nicht dorthin gehen. Was würde geschehen, wenn du verletzt würdest?«
Rachel ignorierte die KI. Sie lehnte sich zu Beth hinüber und streichelte ihr rasch über das Haar. »Okay. Entschuldige, aber ich musste das tun. Ich liebe dich. Sieh mal – deine Mom braucht dich!« Rachel deutete hinüber zu Gloria, die mit einem Arm die untröstliche Sarah an sich gedrückt hielt, während sie Miriam auf der gegenüberliegenden Hüfte balancierte. Sarahs Gesicht war tränenüberströmt, und Miriam strampelte in Glorias Armen und wollte ihre Freiheit.
Die Gruppe hatte sich entlang eines breiten Feldwegs verteilt. Auf einer Seite wiegten sich Kornfelder im Wind, auf der anderen befand sich ein umgepflügter leerer Acker. Frauen beugten sich über ihre Kinder und betteten sie auf Decken oder Kleidungsstücke. Rachel lächelte, als sie einer Gestalt ansichtig wurde, die in einiger Entfernung den Weg entlangkam. »Sieh mal, Beth!« Sie deutete in die entsprechende Richtung.
Es war Kyle. Als er Beth und Rachel sah, lächelte er breit und fiel in einen Laufschritt.
Rachel wandte sich wieder Beth zu. »Siehst du? Jetzt hast du wenigstens die Gewissheit, dass es Kyle gutgeht.«
Auf Beth’ Zügen zeigte sich ein kleines Lächeln, und sie machte Anstalten, Kyle entgegenzurennen.
Rachel fasste sie am Arm und hielt sie zurück. »Erzähl der Gruppe, ich sei losgegangen, um uns Informationen zu beschaffen, und dass ich will, dass alle hierbleiben. Falls jemand fragt, sag ihnen das. Sie rechnen schon damit, dass sie die Nacht hier verbringen werden. Lass sie dicht
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