Harlekins Mond
länger intakt zu halten. Wir haben den Menschen hier nicht die Technologie gegeben, um auf einem instabilen Mond zu überleben. Du weißt das; ich weiß, dass es so ist.«
Gabriel runzelte die Stirn. »Keine unserer Alternativen war wirklich gut. Aber wir können nicht gegen unsere eigenen Regeln und Gesetze verstoßen, und wir können nicht unsere eigenen Leute töten oder verbotene Technologien benutzen -nicht ohne zu riskieren, dass wir alle sterben! Wir dürfen uns nicht untereinander bekämpfen. Es wäre wirklich der perfekte Witz, wenn sich die einzigen Menschen im Umkreis von Quintillionen Klicks gegenseitig umbringen würden.«
Er wollte diesen Gedanken nicht weiterverfolgen, nicht solange sich Rachel im selben Raum aufhielt. Außerdem gab es dringlichere Sorgen. »Eine KI war ein dummes Risiko! Hast du gesehen, was sie getan hat? Sie hat allen Ernstes manipulierte Datenströme zur John Glenn hinaufgeschickt. Als das alles angefangen hat, war ich zuerst nicht einmal imstande, Rachel überhaupt zu finden!« Er lief auf und ab, eingeengt in der kleinen Küche, fünf lange Schritte in eine Richtung, fünf in die andere. »Hat sie vielleicht auch vor dir Daten versteckt? Oder irgendwie anders unsere Sicherheitsvorkehrungen durchbrochen? Würdest du es überhaupt wissen, wenn es so wäre?«
Jetzt wirkte Ali in die Defensive gedrängt. »Treesa ist eine hervorragende Kommunikationstechnikerin. Sie hat Untertans Parameter und Freiheiten sorgfältig überwacht. Er hat uns nicht hintergangen – er hat uns geholfen!«
»Untertan? Ihr habt ihn Untertan genannt?«
»Er hat sich diesen Namen selbst gegeben.«
Die KI sah sich selbst als Sklave? Oder wollte sie, dass die Menschen, mit denen sie interagierte, so über sie dachten? KIs verstanden sich nicht auf Täuschungen … soweit er das beurteilen konnte, waren Täuschungen eine charakteristisch menschliche Verhaltensweise. KIs waren einfach nur verdammt mächtig. Ein anderer Gedanke kam ihm. »Untertan ist eine Kopie von Astronaut?«
Ali nickte erneut. Nur langsam wurde Gabriel klar, was das bedeutete. Er hatte Astronaut stets als … nun, als was hatte er ihn betrachtet? Als Computer? Er wusste, dass er mehr war. Ein gleichwertiger Partner bei der Arbeit, ein guter Ingenieur, ein umsichtigen Navigator. Manchmal hatte er mit ihm geredet wie mit einem Freund. Oder nicht?
Er hörte, wie Rachel im Hintergrund etwas murmelte. Sie sah ihn nicht an, sondern schaute an die Wand und redete wie im Selbstgespräch, so leise, dass ihre Worte nicht zu verstehen waren. Er selbst hatte ihr das beigebracht: der Trick für den Bibliothekszugang. Sämtliche Mitglieder des Rates beherrschten ihn.
»Sie spricht gerade mit Untertan«, sagte er.
»Wahrscheinlich fragt sie nach, wie es ihren Leuten geht«, meinte Ali.
»Was heißt das überhaupt – ›ihre Leute‹?« Wie viel hatte er hier eigentlich verpasst? »Andere Mondkinder?«
»Auch einige Erdgeborene. Lass sie nachfragen – es ist noch ein verdammtes Glück, dass sie nach dem, was sie in den letzten paar Tagen durchgemacht hat, nicht einfach in katatonische Starre verfallen ist; und das alles – all ihren Schmerz – haben wir zu verantworten. Wir haben Andrew zu einer Verzweiflungsaktion getrieben, wir haben ihrem Dad eine vernünftige medizinische Versorgung verweigert, und Jacob haben wir schlicht und einfach umgebracht. Peng!« Ali stand auf und lief aufgewühlt hin und her. »Jacob könnte noch leben, wenn wir ihn nicht betäubt in einen Haufen Glasscherben stürzen und ohne medizinische Versorgung dort hätten liegen lassen. Rachel hat versucht, ihn zu retten; sie gemeinsam mit Beth – indem sie alles eingesetzt haben, was sie wussten. Aber das war nicht genug. Dabei hätte jeder unserer Meditech-Assistenten es problemlos schaffen können.«
Gabriel richtete seinen Blick wieder auf Rachel.
»Hier bei uns herrscht ein Ungleichgewicht an Macht und Wissen«, sagte Ali. »Und dagegen hat sie angekämpft. Wir haben sie Gewaltlosigkeit gelehrt; selbst Astronaut, Treesa und Untertan haben ihre gewaltlose Gesinnung unterstützt.«
Ein schrecklicher Gedanke kam Gabriel in den Sinn. »Und von wem hat dann Andrew seine Gesinnung erlernt?«
Ali schaute ihn an, und ihre Augen wurden schmal. »Von dir. Von mir. Von Liren, am meisten von ihr.« Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und drehte den Zopf um ihre Hände. »Wir haben ihm gezeigt, dass Gewaltlosigkeit nicht funktioniert!«
Gabriel warf einen Blick auf
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