Harmlose Hölle - Raum 213 ; Bd. 1
losgestürmt, aus der Terrassentür hinaus in den dunklen Garten. Und das war der Anfang von zwei albtraumhaften Tagen gewesen.
Daniel hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Noch immer stand er im Eingang des Diners und sah sie an. Seine Mundwinkel waren nicht wie üblich zu einem Grinsen verzogen, sondern seine Miene war unsicher, verletzlich. Er sah gut aus, das tat er immer, mit den halblangen braunen Haaren, den breiten Schultern und dem fragenden Ausdruck in seinen blauen Augen.
Und plötzlich wurde Liv etwas klar. Das hier war abgesprochen gewesen. Jessie hatte sie extra hierhergebracht und Daniel Bescheid gesagt. Er wusste längst, was passiert war, wie auch nicht, schließlich waren die beiden befreundet. Klar, dass Daniel Jessie angerufen hatte.
Liv spürte, wie die Gefühle an ihr zerrten. Aufregung, Angst, dazwischen, ganz irrational, Freude, ihn zu sehen, dann schließlich die Wut, die alles andere überdeckte. Sie fühlte sich wie eine Figur in einem Spiel, das sie nicht bestimmte. Von einem Feld zum anderen wurde sie geschoben und offenbar hielt es niemand für nötig, sie zu fragen, was sie davon hielt.
Aber das würde sich ab sofort ändern. Sie war Liv und das sollten sie jetzt alle zu spüren bekommen. Sie würde das Problem auf ihre Art lösen, so wie sie schon immer ihre Probleme gelöst hatte. Mit Gelassenheit und Vernunft.
Sie straffte ihre Schultern, drehte sich um und ging ruhig zu einem Tisch in der Ecke. Dort setzte sie sich, zog ihr Handy aus der Tasche und tippte rasch eine SMS an Mai, nicht, weil sie ihre Freundin wirklich über die aktuellen Ereignisse informieren wollte, sondern um etwas zu tun zu haben.
Sie roch ihn, bevor er ihr die Hand auf die Schulter legte. Daniel hatte einen ganz besonderen Geruch, etwas herb, aber mit einer Spur Süße. Er roch nach Herbst und nach warmem Apfelkuchen. Wieder spürte sie, wie sich ihr Herz vor Sehnsucht zusammenballte. Das wohlbekannte Brennen in ihren Augen setzte ein und sie holte tief Luft. Vernunft? Verdammt … Aber sie durfte sich selbst das jetzt nicht antun. Sie würde erst weinen, wenn er wieder draußen war. Wenn überhaupt.
»Nimm deine Finger sofort von mir weg!«, sagte sie leise. »Und wag es ja nicht, mich anzusprechen.«
Er tauchte in ihrem Gesichtsfeld auf. Mit erhobenen Armen schob er sich auf die Sitzbank ihr gegenüber. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck so ehrlicher Reue, dass sie sich auf die Lippen beißen musste. Daniel hatte das schon immer gekonnt; dieser Hundeblick, den er draufhatte, ließ jeden schmelzen. Jede .
Tja, das Dumme war nur, dass sie nicht mehr Jede sein wollte. Wieder spürte sie die Wut in sich und merkwürdigerweise tat das gut, nach allem, was passiert war. Es gab ihr das Gefühl, die Kontrolle zu behalten.
»Hör zu, Daniel«, sagte sie und ballte die Faust zusammen, als ihre Stimme ein bisschen wegkippte. »Ich habe die schlimmsten achtundvierzig Stunden meines Lebens hinter mir. Und die haben damit angefangen, dass du mich betrogen hast. Ich hab keine Ahnung, wie lange das schon geht, aber eins weiß ich: Ich will dich nicht mehr sehen.«
Sie horchte ihren eigenen Worten hinterher. Ja, das war der richtige Tonfall. Bestimmt, erwachsen, vernünftig. Druckreif.
Daniel rührte sich noch immer nicht von der Stelle.
»Ich liebe dich.«
Keine Entschuldigung, kein Wort der Reue, keine Beteuerung mehr, dass er mit dem Kuss nichts zu tun hatte.
Nur dieser eine Satz.
Und fast hätte er damit Erfolg gehabt. Beinahe wäre sie darauf reingefallen. Ihr Körper jedenfalls war kurz davor nachzugeben.
Gleißende Lichtpunkte tanzten vor ihren Augen. Ihr Herz hämmerte in ihrer Brust, aber gleichzeitig wusste sie, dass sie nicht nachgeben durfte. Lass dich nicht auf ihn ein.
Verzweifelt suchte sie nach einer Erwiderung, irgendetwas, das cool klang. Aber ihr fiel nichts ein. Warum war das hier so schwer? Alles in ihr sehnte sich danach, ihm zu fragen, was geschehen war, und seine Erklärung anzuhören. Gleichzeitig war es genau das, wovor sie sich eigentlich fürchtete. Dass sie in dem Zustand, in dem sie gerade war, auf jede x-beliebige Ausrede reinfallen würde.
»Hör zu, Liv, ich werde mich nicht rechtfertigen. Ich will dich nicht zu etwas überreden, was du nicht glauben willst.«
Es war gespenstisch. Daniel hatte schon immer ihre Gedanken lesen können, er kannte sie fast noch besser als Mai.
»Liv, hast du dich schon einmal gefragt, ob das Offensichtliche immer der Wahrheit entspricht? Ob
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