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Harold - Einzlkind: Harold

Harold - Einzlkind: Harold

Titel: Harold - Einzlkind: Harold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Einzlkind
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dieser Scheiben auf den knisternden Plattenspieler, verweilt auf seinem Ohrensessel, bis er müde wird und selbst die Trübsal ihm zu anstrengend ist.
    »Und wer hat eigentlich diesen völlig unfähigen Barkeeper engagiert?«, möchte Wilbert wissen.
    »Hat mich an Brian erinnert.«
    »Brian de Palma?«
    »Nein, Brian Little.«
    »Wer?«
    »Der Brian, der seit acht Jahren infolge eines Motorradunfalls körperlich wie auch geistig schwerstbehindert ist und den größten Teil seiner Freizeit damit verbringt, in ein hellblaues Lätzchen zu sabbern.«
    »Ach, der lebt noch?«
    »Peripher.«
    »Und wer war ...«, Wilbert unterbricht sich selbst, er legt seine rechte Hand kurz auf seine glänzenden Lippen und sagt: »Oh, Entschuldigung, wie unhöflich von mir, ich platze hier einfach in das Interview hinein und plausche blindlings drauflos.«
    »Kein Problem, Schätzchen«, beschwichtigt Jerry und verschenkt ein charmantes Lächeln voller Nachsicht.
    »Nun ja«, kontert Melvin, der seiner höflichen Zurückhaltung ein wenig Spielraum gönnt, »auch wenn ich die wahnsinnig interessante Unterhaltung nur sehr ungern unterbrechen möchte, wäre es in der Tat sehr schön, wenn wir das Interview fortführen könnten.«
    »Nehmt mich einfach nicht mehr wahr, ich bin gar nicht anwesend, unsichtbar und absolut geräuschlos, macht einfach weiter, wo ihr aufgehört habt, ich werde hier nur sitzen, mucksmäuschenstill, hach, es ist ja alles so aufregend.«
    »Jerry.«
    »Melvin.«
    »Was ist Kunst?«
    »Wenn man etwas macht, das man eigentlich nicht hätte machen sollen.«
    »Definieren Sie Existenz?«
    »Das Leben ist eine Rolltreppe. Entweder sie ist kaputt oder es geht abwärts.«
    »Was ist Intelligenz?«
    »Pyramiden mit einer unterschiedlichen Anzahl an Pünktchen gedanklich auf den Kopf stellen zu können. Was auch beweist, dass ich eine dumme Tunte bin.«
    Wilbert gluckst. Melvin ist verunsichert. Eigentlich waren die Fragen nur zur Einstimmung gedacht, zur eigenen Beruhigung, zur Bestätigung, dass Jerry genetisch unmöglich sein Vater sein kann, da seine intellektuelle Begabung maximal bis zur Vanity Fair reicht und im Jahrmarkt der Eitelkeiten Karussell fährt. Die Antworten aber, auch wenn sie nicht umwerfend sind und hier und da im Fahrwasser der Logik ertrinken, lassen dennoch auf die Fähigkeit zur Reflexion schließen. Ist es tatsächlich möglich? Könnte Jerry es sein? Melvins Gedanken kreischen wie eine junge Pavianhorde umher und hinterlassen ein wüstes Durcheinander manischer Irritationen. Vater? Genetische Manipulation? Unbefleckte Empfängnis? Babyklappe? Konzentration! Eine Frage, eine einzige Frage. Und dann? Gewissheit.
    »Jerry ...«
    »Ach herrje ...«
    »Jerry ...«
    »Schon so spät ...«
    »Jerry ...«
    »Wilbert, wir müssen ...«
    »Jerry ...«
    »Ihr beiden Süßen, ich muss mich jetzt leider verabschieden, die schnöde Arbeit ruft, und da kann ich euch leider nicht mitnehmen. Ein guter Freund gibt heute Abend eine Party, ich schreibe euch die Adresse auf, es ist übrigens eine Kostümparty und das Motto heißt: Oui, bicyclette, transistor, parapluie, mon chérie, o la la. «
    31
    Es ist schwer zu sagen, ob Jakob Isaakstein ein gutmütiger Mensch ist. Seine blendenden Zornesfalten und das lotterlebende Haar in Einstein’scher Manier geben keine eindeutige Antwort. Auch das braun-beige geflickte Kleidwerk, welches seinen gebrechlichen Körper in notdürftiger Form hält und im Nachkriegswinter 45 als leidlich chic gegolten haben muss, ist wenig aufschlussreich. Die trüben Augen wirken durch das fleckige Brillenglas stets abwesend, als seien sie nur vorhanden und hätten jegliche Funktion schon vor Jahren eingestellt, da es sowieso nichts mehr Neues zu erblicken gibt. Wenn Jakob Isaakstein spricht, ist es, als existiere die Welt nur noch in Zeitlupe und er selbst diene als lebender Beweis der Chaostheorie. Und sollte je wieder ein Jemand daherkommen, um das Meer zu teilen, so ist es eigentlich unvorstellbar, dass Jakob Isaakstein sich davon beeindrucken ließe. Andere können fünf gerade sein lassen oder Bier aus Eimern trinken. Alles Wunder.
    Jerry hat ihnen die Adresse von Jakob Isaakstein gegeben und gesagt, er sei der beste Kostümverleiher der ganzen Stadt, wenngleich er nicht genau wisse, ob es noch einen anderen gäbe. Man sei immer der einzige Kunde, egal wann man komme, und finde jedes Kostüm, das man sich wünsche, und wenn nicht, würde es maßgeschneidert. Er, Jerry, habe sich vor zwei

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