Harper Connelly 02 - Falsches Grab-neu-ok-10.12.11
vermisst werden, setzt der gesunde Menschenverstand natürlich
häufig aus«, schaltete sich Tolliver ein.
»Klar«,
pflichtete ich ihm bei, als ich merkte, dass Tolliver versuchte, den schlechten
Nachgeschmack zu vertreiben, den meine Worte hinterlassen hatten.
»Ist Ihnen
das denn völlig egal?«, platzte es plötzlich aus Detective
Young heraus. Sie beugte sich vor, verkrampfte die Hände, stützte die
Ellbogen auf die Knie und sah uns aufmerksam an.
Das war eine
schwierige Frage. »Ich habe ganz unterschiedliche Empfindungen, wenn ich auf
eine Leiche stoße«, sagte ich so wahrheitsgemäß wie möglich. »Ich freue mich,
wenn ich mit meiner Suche erfolgreich bin, weil ich dann meine Arbeit wie gewünscht
erledigt habe.«
»Und dafür
werden Sie bezahlt«, sagte Detective Lacey eine Spur zu
scharf.
»Ich lasse
mich gern bezahlen«, sagte ich. »Ich schäme mich nicht dafür. Ich arbeite
schließlich für mein Geld. Und ich helfe den Toten damit.« Die beiden Beamten
sahen mich ausdruckslos an. »Sie wollen nämlich gefunden werden, wissen Sie.«
Das war doch
offensichtlich. Aber nach ihrem Gesichtsausdruck zu schließen, schien das für
Lacey und Young alles andere als offensichtlich zu
sein.
»Sie wirken
vollkommen normal, und dann sagen Sie wieder etwas total Durchgeknalltes«,
murmelte Young.
Daraufhin
starrte ihr älterer Kollege sie dermaßen an, dass sie sich wieder zusammenriss.
»Bitte
entschuldigen Sie«, sagte sie förmlich. »Das ist ein Thema, über das ich mich noch
nie unterhalten habe, und ich empfinde es ... irgendwie doch als merkwürdig.«
»Das höre
ich nicht zum ersten Mal, Detective«, sagte ich
sachlich.
»Das kann
ich mir denken.«
»Wir werden
jetzt gehen«, sagte Detective Lacey und fuhr sich
geistesabwesend durch seine kurzen Haare, als poliere er eine Marmorfigur.
»Eine Frage noch.«
Tolliver und
ich sahen zu ihm auf. Tolliver legte die Hand auf meine Schulter und drückte
sie leicht. Aber das war unnötig, ich wusste, dass jetzt die alles
entscheidende Frage kam.
»Haben Sie
mit irgendjemandem aus der Familie geredet, seitdem Sie in Nashville waren, um nach dem Mädchen zu suchen? Irgendwelche Telefonate?«
Ich musste
keine Sekunde überlegen. »Ich nicht«, sagte ich und wandte mich an Tolliver, in
der Erwartung, er würde genau dasselbe sagen.
»Doch, ich
habe ein paarmal mit Felicia Hart telefoniert«, sagte er. Ich musste mich
schwer beherrschen, um mir nichts anmerken zu lassen.
»Sie haben
also mit Felicia Hart telefoniert, und zwar nachdem sie Sie gebeten hat, nach Nashville zu kommen und nach ihrer Nichte zu suchen.«
»Ja, das
stimmt.«
Ich hätte
ihn umbringen können.
»Worum ging
es bei diesen Telefonaten?«
»Ausschließlich
um private Dinge«, sagte Tolliver ruhig.
»Sie hatten
also eine Beziehung mit Felicia Hart?«
»Nein«,
sagte Tolliver.
»Warum dann
die Anrufe?«
»Wir hatten
Sex«, erwiderte er. »Danach hat sie noch ein paarmal angerufen, als meine
Schwester und ich schon wieder unterwegs waren.«
Ich spürte,
wie sich meine Hände zu Fäusten ballten, und zwang mich, sie wieder zu öffnen
und mir nichts anmerken zu lassen. Wenn mein Gesicht eine Spur versteinert war,
konnte ich das auch nicht ändern. Ich gab mein Bestes.
Tolliver hat
viel Sex-Appeal, und obwohl wir nie darüber gesprochen haben, scheint er Sex
sehr zu genießen, zumindest lässt er kaum eine Gelegenheit dazu aus. Auch ich
genieße Sex, aber wenn es darum geht, einen Partner zu finden, bin ich deutlich
wählerischer als Tolliver. Tolliver betrachtet Sex wohl als eine Art Sport, den
er gut beherrscht, und zwar mit jedem, der sich gerade in seiner Mannschaft
befindet. Ich halte Sex für etwas wesentlich Persönlicheres. Man gibt dabei
ziemlich viel von sich preis. Ich will nicht, dass so viele Leute derart intime
Kenntnisse von mir haben - weder im wörtlichen noch im übertragenen Sinn.
Aber
vielleicht ist das einfach nur die typisch männliche und die typisch weibliche
Einstellung zu diesem Thema.
»Und über
was wollte sie reden?«, fragte Detective Young. Ihre
Augen hatten sich zu schmalen Schlitzen zusammengezogen, was mir gar nicht
gefiel. Sie tat gerade so, als hätte sie Tolliver bei etwas Verbotenem ertappt.
»Sie wollte
sich über ihre Familie aussprechen. Darüber reden, wie lange Tabitha nun schon
vermisst wurde und wie sich diese Belastung auf Victor ausgewirkt hat«, sagte
Tolliver gelassen, aber ich dachte nur: Du Lügner! Ich sah zu Boden,
damit man
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