Harper Connelly 02 - Falsches Grab-neu-ok-10.12.11
mir meine Gedanken nicht ansah.
Ich
überlegte schon, den Beamten einen Schwächeanfall vorzuspielen oder mich
sonstwie merkwürdig aufzuführen, damit sie nervös wurden und gingen, aber ich
war wirklich wütend auf Tolliver. Sollte er doch selbst sehen, wie er aus
diesem Schlamassel wieder herauskam!
»Was genau
sagte sie bei diesen Gesprächen?«
Er zuckte
die Achseln. »An Details kann ich mich nicht mehr erinnern. Das Ganze liegt
schließlich Monate zurück, und so bemerkenswert war es auch wieder nicht.« Weil
das wenig galant klang, fügte Tolliver noch hinzu : »Ich wusste schließlich
nicht, dass ich eines Tages über diese Telefonate Auskunft geben muss. Sie machte sich natürlich Sorgen, und zwar nicht nur um
Victor. Sie machte sich Sorgen um Diane und Joel und um ihre eigenen Eltern.
Sie sind schließlich Victors Großeltern, wenn auch nicht mehr Joels
Schwiegereltern. Und - Moment mal - sie sagte auch, dass Victors Schulkameraden
ihm vorwarfen, etwas mit Tabithas Verschwinden zu tun zu haben. Nur weil er
seinen Freunden gegenüber ein paarmal erwähnt hatte, dass sein Dad Tabitha bevorzuge, weil Tabitha Dianes Tochter sei. Und
er sei nun mal nicht Dianes Sohn.«
»Und was
haben Sie darauf geantwortet?«
»Nicht
viel«, sagte Tolliver. »Was sollte ich groß dazu sagen, ich war schließlich
nicht dabei und kannte die Betroffenen nicht sehr gut. Ich hatte eher das
Gefühl, dass sie froh war, mal mit einem Außenstehenden reden zu können. Ich war
einfach zur rechten Zeit am rechten Ort, mehr nicht.«
»Wollte sie,
dass Sie nach Nashville zurückkommen?«
»Das ging
nicht«, sagte Tolliver. »Wir hatten längst andere Verpflichtungen. Ansonsten
verbringen wir jede freie Minute in unserer Wohnung in St. Louis. Wir sind
schließlich fast das ganze Jahr unterwegs.«
»So viele
Aufträge haben Sie?«, fragte Detective Young überrascht.
Ich nickte.
»Wir sind gut beschäftigt.« Ich merkte, dass es Tolliver vermieden hatte, ihre
eigentliche Frage zu beantworten, aber ich würde sie ganz bestimmt nicht darauf
hinweisen. Ich konnte es kaum erwarten, sie loszuwerden.
Lacey und Young sahen sich vielsagend an. Der Mann mittleren Alters und
die jüngere Frau waren irgendwie ein gutes Team. Irgendwann war ihnen wohl
aufgefallen, dass sie auf einer Wellenlänge lagen, und das machten sie sich
zunutze. Bisher hatte ich eigentlich gedacht, dass für Tolliver und mich
dasselbe galt.
»Es kann gut
sein, dass wir Ihnen noch mehr Fragen stellen müssen«, sagte Detective Lacey sichtlich bemüht, freundlich zu klingen, so als wären sämtliche
Fragen an uns völlig belanglos - kein Problem, nur keinen Stress, don't worry, be happy .
»Sie bleiben also hier?«, fragte Young und
zeigte auf den Boden, wie um uns zu bedeuten: In diesem Hotel. Sie dürfen
die Stadt nicht verlassen.
»Ja, ich
denke schon«, sagte ich.
»Sie wollen
bestimmt auf die Beerdigung«, meinte Young, als sei ihr
diese Selbstverständlichkeit gerade erst eingefallen.
»Nein«,
entgegnete ich.
Sie legte
ungläubig den Kopf schräg. »Wie bitte?«
»Ich gehe
nicht auf Beerdigungen«, sagte ich.
»Nie?«
»Nie.«
»Und was war
beim Tod Ihrer Mutter? Soweit wir wissen, ist sie letztes Jahr gestorben.«
Sie hatten
also herumtelefoniert. »Ich bin nicht hingegangen.« Ich wollte ihre Präsenz
nicht spüren, nie mehr, nicht mal vom Grab aus. »Auf Wiedersehen«, sagte ich, stand auf und lächelte sie an. Jetzt hatte ich sie wirklich aus
der Fassung gebracht, und die beiden warfen sich wieder einen vielsagenden,
wenn auch stark verunsicherten Blick zu.
»Sie bleiben
also in der Stadt, bis wir uns wieder melden«, sagte Detective
Young und strich sich mit einer Geste eine Strähne hinters Ohr, die
auffällig der ihres Partners ähnelte.
»Ich dachte,
das hätten wir bereits geklärt«, erwiderte ich so freundlich und gelassen wie
möglich.
»Selbstverständlich
bleiben wir«, sagte Tolliver ohne jede Spur von Ironie.
6
Als die
Polizei gegangen war, herrschte bedrücktes Schweigen. Ich konnte meinen Bruder
nicht ansehen und erst recht nicht über das reden, was soeben passiert war. Wir
rührten uns nicht. Schließlich schlug ich mir vor die Stirn, stöhnte laut auf,
stapfte in mein Zimmer und knallte die Tür hinter mir zu. Sie wurde sofort
wieder aufgerissen, und Tolliver betrat den Raum.
»Na gut,
aber was hätte ich deiner Meinung nach sagen sollen? Hätte ich vielleicht lügen
sollen?«
Ich hatte
mich aufs Bett geworfen, und
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