Harper Connelly 02 - Falsches Grab-neu-ok-10.12.11
interessiert, aber die Frage riss ihn aus seinen Gedanken
und reizte ihn nur noch mehr. Er war außer sich, weil seine
Lieblingsmannschaft, die Miami Dolphins, verloren
hatte. Da ich mich mit Football in etwa so gut auskenne
wie mit Quantenphysik, setzte ich einen mitleidigen Blick auf und hielt den
Mund. Bis das hier irgendwie geklärt war, war an Schlaf sowieso nicht zu
denken.
»Wir könnten
was zu essen gebrauchen«, sagte ich nach einer Weile und rief den Zimmerservice
an. Ich bestellte einen Hamburger für Tolliver und ein Sandwich mit gegrilltem
Huhn für mich.
Als ich
damit fertig war, hatte sich Tolliver wieder beruhigt.
»Der Anruf
war von Felicia Hart«, sagte er.
Ich
versuchte keine Miene zu verziehen.
»Wie ich
bereits sagte, tut es mir leid, dass ich... dass ich was mit ihr angefangen
habe«, meinte er. »Aber noch einmal werde ich das nicht sagen.«
»Ich habe
dich auch nicht darum gebeten«, gab ich zurück.
»Stimmt.« Er
schüttelte den Kopf. »Das ist einfach nur wieder mein schlechtes Gewissen. Sie
will mich wiedersehen. Aber ich hab ihr gesagt, dass das kein guter Zeitpunkt
ist.«
»Als sie
dich heute gesehen hat, ist ihr eingefallen, wie toll du bist«, sagte ich und
zwang mich zu einem Lächeln. »Ich wette, sie will wieder was mit dir anfangen.«
Er
schüttelte den Kopf. »Das glaube ich kaum.«
»Ob sie wohl
morgen beim Mittagessen dabei sein wird?«, fragte ich unschuldig. »Ich werde
dich vor ihr beschützen, wenn du das willst. Aber sie wird versuchen, sich
allein an dich heranzumachen.«
»Wohl kaum«,
sagte er stur.
»Sie ist
sehr besitzergreifend, was Victor betrifft«, meinte er nach langem Schweigen.
Ich fragte mich, ob er überhaupt mitbekam, was da gerade im Fernsehen gezeigt
wurde. »Weißt du noch, was Victor für ein Alibi hatte, als Tabitha entführt
wurde?«
»Na ja, es
waren Ferien, also wird er kaum in der Schule gewesen sein«, sagte ich. »Nein,
ich kann mich nicht daran erinnern. Warum sehen wir nicht einfach nach?«
Tolliver
fuhr seinen Laptop hoch und wählte sich ins Internet ein. Wir begannen das
Verbrechen zu recherchieren, das uns überhaupt erst in dieses Zimmer gebracht
hatte.
Ich saß
neben Tolliver und hatte einen Arm um seine Schultern gelegt, als er die uns
bekannte Geschichte von vor anderthalb Jahren mitsamt den dazugehörigen Fotos
auf den Bildschirm holte. Ich hatte viele Details vergessen, und weil ich die
Beteiligten nun besser kannte, beeindruckten mich die Fotos mehr als damals.
Was mir als
Erstes auffiel, war, auf wie vielen Fotos Agent Seth Koenig zu sehen war. Meist
stand er irgendwo im Hintergrund und sah todernst drein. Er war ein Mann, der
ganz in seiner Mission aufging.
Es war
erschreckend zu sehen, wie sehr die Morgensterns seit Tabithas Entführung
gealtert waren. Sogar Victor wirkte inzwischen wesentlich erwachsener - aber
das war er wohl auch. Diane schien auf den Fotos mindestens fünf Jahre jünger,
und Joel... dünner. Er sah immer noch gut aus und hatte eine starke
Ausstrahlung. Trotzdem wirkte er bedrückter; es war, als würde er eine schwere Last
tragen. Ich hasse solche abgegriffenen Formulierungen, aber so war es nun mal.
Wir gingen
die Artikel durch und frischten unsere Erinnerung auf.
An jenem warmen
Frühlingsmorgen in Nashville war Diane allein mit
Tabitha zu Hause gewesen. Joel war zwei Stunden zuvor zur Arbeit gegangen. Im
Frühling haben Steuerberater immer viel zu tun, so dass Joel bis zum
Abgabetermin für die Steuererklärungen oft auch samstags arbeitete. An jenem
Samstag war er so früh zur Arbeit gefahren, dass ihn niemand hatte ankommen
sehen. Joel erzählte der Polizei, dass er bereits eine Stunde im Büro gewesen
sei, als die anderen Berater eintrafen. Obwohl ihn die Kollegen bis nach Tabithas
Entführung nicht ständig im Auge gehabt hatten, hatten sie ihn doch in ziemlich
regelmäßigen Abständen gesehen. Von der Zeit her war es mehr als
unwahrscheinlich, dass er das Verbrechen begangen hatte, aber unmöglich war es
nicht.
Und was
Diane anging, hatte sie uns selbst erzählt, was sie getan hatte - nämlich sich
mit Tabitha zu streiten, zu telefonieren und sich zum Einkaufen fertig zu
machen. Zeugen dafür gab es nicht.
So viel zu
den Eltern.
Tabithas
Halbbruder Victor war an jenem Morgen auch sehr früh aufgestanden. Er war zum
Tennisclub gefahren, wo er von acht bis neun Training hatte. Danach, so Victor,
sei er einfach noch geblieben, habe ein paar Bälle gegen die Wand gespielt und
mit
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