Harper Connelly 02 - Falsches Grab-neu-ok-10.12.11
Vorstellungen von den Toten zu
hinterfragen. Es gab so einiges, über das ich nachdenken musste, aber mein
Körper war erschöpft. Ehe ich mich's versah, war ich eingeschlafen.
Ich träume
sonst nicht viel, aber in jener Nacht träumte ich, eine Hand zu halten, die nur
noch aus Knochen bestand. In meinem Traum hatte ich keine Angst, wusste aber,
dass etwas nicht in Ordnung war.
Am nächsten
Morgen frühstückten Tolliver und ich gerade und lasen Zeitung, als es an der
Tür klopfte. Tolliver war mit dem Kreuzworträtsel beschäftigt, und ich war
dabei, noch einmal alles durchzulesen, was wir über die Entführung von Tabitha
gefunden hatten, und zwar chronologisch bis zu den neuesten Artikeln über den
Fund einer Leiche, die vielleicht die ihre war. Ich las gerade die Geschichten,
die noch das Letzte aus dem grausigen Fund herauszuholen versuchten. Dazu
gehörten ein Artikel über ihre vorläufige Identifizierung mithilfe des
Zahnstands, eine kurze Zusammenfassung der Entführung, die Schilderung der
Pläne der Familie für das Begräbnis nächste Woche und Zitate von den trauernden
Großeltern. Außerdem gab es noch eine Geschichte über »versteckte« Friedhöfe in
Memphis sowie einen allgemeinen Artikel über Kindesentführungen mit einer
Statistik, die genau auflistete, wie viele Kinder lebend, wie viele tot und wie
viele nie gefunden werden. Cameron war da weiß Gott
nicht die Einzige.
Es gibt kaum
etwas Beängstigenderes als die Vorstellung, dass ein Kind einfach so
verschwindet. Ich musste an meine kleinen Schwestern denken und bekam eine
Gänsehaut. Mariella und Gracie waren in Ordnung gewesen,
als ich noch mit ihnen im Wohnwagen gelebt hatte. Doch wir hatten keine Ahnung,
wie es ihnen jetzt ging, da meine Tante und ihr Mann behaupteten, sie wollten
uns nicht sehen. Wenn das stimmte, was ich jedoch stark bezweifelte, hatten
ihnen Iona und Hank jede Menge Unwahrheiten über uns erzählt, die ich gern
einmal klarstellen würde. Selbst wenn mich die Mädchen nicht liebten - ich
liebte sie.
Ich war
abgeschweift, aber das Klopfen holte mich ins Hier und Jetzt zurück.
Wir sahen
uns an. Tolliver stand auf und schaute durch den Spion.
»Wieder
dieser FBI-Typ«, sagte er.
»Mist«,
murmelte ich. Ich trug einen Hotelbademantel und nichts darunter, da ich nach
meinem Training auf dem Laufband gerade erst geduscht hatte.
»Sie sollten
mich lieber reinlassen, ich habe Neuigkeiten für Sie«, sagte die Stimme auf der
anderen Seite der Tür.
Tolliver sah
mich erneut an.
Wir
überlegten.
»Gut«,
meinte ich. »Hören wir uns an, was er uns zu sagen hat.«
Tolliver
öffnete die Tür, und Seth Koenig kam sofort herein und schloss die Tür hinter
sich. Er musterte meine Beine und sah dann woanders hin. »Ich habe die
Morgennachrichten aufgenommen, weil ich dachte, Sie haben sie vielleicht noch
nicht gesehen«, sagte er. Er wartete auf eine Reaktion, und wir schüttelten
beide den Kopf. Wir machen morgens nicht automatisch den Fernseher an. Seine
Miene versprach nichts Gutes.
Er ging zu
unserem Fernseher und legte das Videoband ein. Er benutzte die Fernbedienung,
um das Gerät einzuschalten. Nach den Sportergebnissen füllte Shellie Quail den Bildschirm. Sie erstrahlte in einem grellen
Herbstkostüm und mit ihrem üblichen Glitzer-Make-up. Shellie hatte ihr
nüchternes Ansagerinnengesicht aufgesetzt. Allem Anschein nach hatte sie
schlechte Nachrichten.
»Ein Gärtner
des Bingham-College machte heute Morgen eine schockierende Entdeckung. Dennis
Cuthbert war auf den alten St.-Margaret-Friedhof geschickt worden, um dafür zu
sorgen, dass der Müll abtransportiert wird, der sich nach der Entdeckung der
sterblichen Überreste von Tabitha Morgenstern vor zwei Tagen angesammelt hat.
Was Cuthbert dort entdeckte, war mindestens genauso schockierend: Im selben
Grab lag noch eine Leiche.«
Das Wort
»schockierend« schien ihr besonders ans Herz gewachsen zu sein.
Die Kamera
machte einen Schwenk und zeigte einen kräftigen Schwarzen in einer dunkelblauen
Uniform. Dennis Cuthbert wirkte sehr aufgeregt. »Als ich kam, sah ich das Auto
auf dem Parkplatz stehen«, sagte er. »Eigentlich ist um diese Uhrzeit niemand
hier, deshalb hab ich mich ein wenig umgesehen.«
»Hatten Sie
da schon das Gefühl, dass etwas nicht stimmt?«, fragte Shellie gespielt
nüchtern.
»Ja, ich hab
mir so meine Gedanken gemacht«, sagte Dennis Cuthbert. »Ich ging also ein wenig
auf und ab und merkte gleich, dass das Grab ein wenig anders
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