Harper Connelly 02 - Falsches Grab-neu-ok-10.12.11
merkwürdig war, aber die Geste
hatte keinerlei sexuellen Unterton. Er schien eher mit meiner Aura oder etwas
Ähnlichem in Kontakt treten zu wollen. Die Familientreffen der Bernardos müssen
hochinteressant sein. Wenn dort alle so sensibel sind wie Xylda und Manfred ...
»Nein, wir
sind die Einzigen«, sagte Manfred geistesabwesend, während er sich immer noch
auf den Fernseher konzentrierte. Seine vielen Silberringe nahmen nach seinem
Spaziergang zum Hotel langsam Zimmertemperatur an.
Ich riss
kurz die Augen auf, und Tolliver sah mich an, als stimme etwas nicht. Doch ich
schüttelte nur den Kopf. Er bemerkte Manfreds Hand auf meiner und hob fragend
die Brauen. Er wollte wissen, ob ich mich unbehaglich fühlte. Ich schüttelte
wieder den Kopf, um ihm mitzuteilen, dass das kein Problem war.
Als das Video
zu Ende war, fragte Manfred: »Der Mann in dem Grab war derselbe, der dich hier
engagiert hat?«
»Ja«,
antwortete ich.
»Es gab also
vor langer Zeit eine erste Beerdigung, damals, als der Friedhof noch in
Funktion war?«
Ich nickte.
Manfreds Augen waren sehr blau, und obwohl sie auf mich gerichtet waren, nahmen
sie mich nicht wahr.
»Und als
Nächstes lag das kleine Mädchen in dem Grab?«
»Genau.«
»Und dann
habt ihr den Mann gefunden, als ihr letzte Nacht auf dem Friedhof wart?«
Erschrocken
sprang ich auf, aber Manfred ließ meine Hand nicht los. Sein Griff war sanft,
aber fest.
»Ja«, sagte
Tolliver langsam. »Wir haben ihn gestern Abend gefunden.«
»Meine Oma
hat eine Sitzung für euch gemacht, genau zu dem Zeitpunkt, als ihr ihn gefunden
habt. Und sie weiß, dass ihr den Besucher gesehen habt.« Ich hatte das
unangenehme Gefühl, dass er durch mich hindurchsah.
»Besucher?«,
fragte ich.
»So nennt
sie Geister«, meinte Manfred, und plötzlich war er einfach wieder ein junger
Mann, der mit einer Frau Händchen hielt, die ihm gefiel und die er breit
angrinste. Der Metallstift in seiner Zunge zwinkerte mir zu. »Oma hat ihren
eigenen Fachwortschatz.«
Dieser Junge
war wirklich hochinteressant. Er schien noch nicht weit herumgekommen zu sein,
wusste aber über sehr ungewöhnliche Dinge Bescheid. Ich hatte so das Gefühl,
dass man Manfred mit Reichtum oder Raffinesse nicht sonderlich beeindrucken
konnte.
»Ich bin
kein Junge«, sagte er lächelnd und sah mir direkt in die Augen. Und plötzlich
war auch der sexuelle Unterton wieder da. »Ich bin eindeutig ein Mann.«
Ich wusste
nicht recht, ob mich das erregte oder ob ich lieber schreiend in mein Zimmer
gelaufen wäre. Stattdessen lächelte ich ihn an.
»Ich soll
euch von Oma ausrichten, dass ihr Tabithas erstes Grab sehen werdet«, sagte er.
»Ich hab sie erst nicht richtig verstanden, als sie mir diese Botschaft gab.
Ihre Hüfte macht ihr zu schaffen, deshalb musste sie heute zu Hause bleiben.
Also hat sie mich gebeten, euch zu besuchen. Sie mag euch nämlich. Sie wollte
euch warnen. Euch vor dem Grab warnen.«
Wie schon im
Coffeeshop beugte er sich vor und gab mir einen Handkuss. Damit sorgte er
dafür, dass ich die gesamte Bandbreite der Empfindungen, die durch sein
Zungenpiercing so außergewöhnlich waren, ein zweites Mal spürte. Aus seiner
gebeugten Haltung sah er zu mir auf.
»Das macht
dich nachdenklich, stimmt's?«, sagte er leise.
»Nachdenken
ist nicht dasselbe wie Handeln«, sagte ich nüchtern.
»Noch
nicht«, meinte er. Er erhob sich, gab Tolliver die Hand und verschwand genauso
plötzlich, wie er gekommen war.
»Was sollte
das denn?«, fragte Tolliver entschieden misstrauisch.
»Wenn er
jemanden berührt, kann er anscheinend dessen Gedanken lesen oder so«, sagte ich
und fühlte mich ein wenig unwohl, weil manche meiner Gedanken ziemlich
anschaulich gewesen waren. »Ich weiß nicht, ob das für alle Menschen gilt oder
nur für diejenigen mit irgendeiner übersinnlichen Gabe.«
»Aber Xylda
ist die Einzige, die die Zukunft voraussieht«, sagte Tolliver. »Und sie hat
heute noch etwas hinzugefügt. Du wirst in der Eiszeit glücklich sein, was immer
das auch heißen mag, und du wirst Tabithas ursprüngliches Grab sehen.«
»Ich glaube
nicht, dass ich Xylda wiedersehen will«, sagte ich. »Und wenn sie mir die
Karten legt, will ich nichts davon erfahren. Das macht mir Angst.«
»Und was ist
mit Manfred? Willst du was von ihm?« Zumindest lächelte Tolliver, als er das
sagte.
»Oh«, meinte
ich ironisch. »Wie du weißt, ist er in der Tat mehr als außergewöhnlich. Und da
kommt man nicht umhin, sich zu fragen... « Doch
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