Harper Connelly 02 - Falsches Grab-neu-ok-10.12.11
es noch
zwei andere Pflegekinder, und wenn wir uns bemühten, kamen wir einigermaßen
miteinander aus.
Tolliver,
der damals zwanzig war, zog zu seinem Bruder Mark, ihm ging es also gut. Er kam
mich besuchen, sooft er konnte und sooft es meine Pflegeeltern zuließen.
»Hallo?« Die
Stimme des Mannes riss mich zurück in die Gegenwart.
»Hallo Hank,
hier spricht Harper«, sagte ich und sorgte dafür, dass
meine Stimme ruhig und unaufgeregt klang. Man musste schon sein wie die
Schweiz, um mit Iona und Hank reden zu können. Neutral , sagte ich mir
immer wieder. Neutral.
»Hallo«,
sagte er ohne jede Spur von Herzlichkeit oder Begeisterung. »Wo bist du, Harper?«
»Ich bin in
Memphis, Hank, danke der Nachfrage.«
»Ich nehme
an, Tolliver ist bei dir?«
»Oh ja«,
sagte ich betont munter. »Es ist ziemlich nasskalt hier. Wie ist es bei euch in
Dallas?«
»Oh, wir
können nicht klagen. So um die zehn Grad.«
»Das klingt
gut. Ich würde gern mit Mariella sprechen, falls sie gerade da ist, und
anschließend mit Gracie.«
»Iona ist
einkaufen. Mal sehen, ob ich die Mädchen finden kann.«
Was für ein
Glück. Ich hielt den Hörer gegen meine Brust, während ich Tolliver Bescheid
gab. »Die böse Hexe ist nicht zu Hause.« Iona hatte stets unzählige
Entschuldigungen parat, um zu verhindern, dass wir mit den Mädchen sprachen.
Hank war nicht ganz so erfinderisch und auch nicht so unbarmherzig.
»Hallo«,
sagte Mariella. Sie war jetzt neun und machte viel Ärger. Ich wusste sehr wohl,
dass sie auch kein Engel wäre, wenn sie bei uns leben würde. Schließlich hatten
Mariella und Gracie in ihren ersten Lebensjahren nie die
elterliche Zuwendung und Aufmerksamkeit bekommen, wie das in normalen Familien
der Fall ist. Damit will ich nicht sagen, dass meine Mutter und mein Stiefvater
die Mädchen nicht liebten, aber es war nicht gerade die Art Liebe, die sie dazu
anhielt, ein vernünftiges, verantwortungsbewusstes Leben zu führen. Wenigstens
das hatten wir älteren Kinder gehabt, früher einmal. Wir wussten, was richtig
ist und was sich gehört. Wir wussten, wie Eltern sein können. Wir kannte
frische Bettwäsche und selbst gekochtes Essen. Und wir kannten Klamotten, die
nur wir getragen hatten.
»Mariella,
ich bin's, deine Schwester«, sagte ich, obwohl ihr Hank
bestimmt erzählt hatte, wer dran war. »Wie geht es dir?« Ich hatte mein Bestes
getan, damals, als wir noch zusammen bei unseren Eltern lebten, genauso wie Cameron und Tolliver. Sogar Mark war von Zeit zu Zeit mit
etwas zu essen vorbeigekommen, wenn er etwas Geld übrig hatte.
»Ich bin in
der Basketball-Mannschaft«, sagte Mariella. »Von unserer Schule.«
»Oh, das ist
ja toll!« Das war wirklich toll. Es war das erste Mal, dass Mariella mit etwas
anderem als nur mit einem mürrischen Grunzen antwortete. »Spielst du schon
richtig mit oder trainierst du noch?«
»Unser
erstes Spiel findet in einer Woche statt«, sagte sie. »Wenn du hier wärst,
könntest du kommen.«
Ich riss die
Augen auf und sah Tolliver an, um ihm zu sagen, dass dieser Anruf anders war
als die anderen. »Wir würden liebend gern kommen«, sagte ich. »Wir müssen erst
noch in unserem Kalender nachschauen, aber es wäre super, dich spielen zu
sehen. Macht Gracie auch mit?«
»Nein, sie
findet es doof, rumzurennen und zu schwitzen wie ein Schwein. Sie sagt, Jungs
mögen keine Mädchen, die schwitzen. Sie sagt, alle werden mich als Lesbe
beschimpfen.«
Ich hörte
einen schockierten Ausruf von Hank im Hintergrund.
»Gracie hat unrecht«, sagte ich hastig. »Sie hat bloß keine
Lust, selbst Basketball zu spielen. Wahrscheinlich kannst du ein bisschen
besser spielen als sie, stimmt's?«
»Worauf du
dich verlassen kannst«, sagte Mariella stolz. »Gracie kommt
nicht mal ansatzweise in die Nähe des Korbs. Beim letzten Training habe ich
zweimal getroffen.«
»Ich bin mir
sicher, dass Gracie andere Stärken hat«, sagte ich in dem
Versuch, diplomatisch zu sein und gleichzeitig Mariellas positive Entwicklung
zu unterstützen.
»Ha!«,
machte Mariella verächtlich. »Na ja, ist ja auch egal.«
»Wurden
dieses Jahr schon Klassenfotos gemacht?«
»Ja. Sie
müssten bald da sein.«
»Ihr hebt
uns zwei auf, verstanden?«, sagte ich. »Eines für deinen Bruder Tolliver, das
er im Geldbeutel mit sich herumtragen kann, und eines für mich.«
»Okay«,
sagte sie. »He, Gracie singt im Chor.«
»Ehrlich?
Ist sie in der Nähe?«
»Ja, sie
kommt gerade in die Küche.« Ich hörte ein
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