Harper Connelly 04 - Grabeshauch
Vielleicht war es eine Fehlgeburt.«
»Aber wenn das Kind von meinem Großvater war, ist es erbberechtigt«, sagte Lizzie. Plötzlich verstand ich die Aufgebrachtheit.
Zur Hölle mit ihnen! Ich ließ mich aufs Bett fallen und streckte mein schmerzendes Bein. »Bitte nehmen Sie Platz«, sagte ich.
»Wollen Sie eine Cola oder ein Seven-Up?«
Tolliver setzte sich neben mich, damit die Schwestern die beiden Sessel haben konnten. Jede nahm das Getränkeangebot an. Obwohl
Katie weiterhin auf den Laptop starrte, um herauszufinden, womit sich Tolliver beschäftigt hatte, wirkten die beiden schon
deutlich ruhiger und weniger anklagend. Ich war erleichtert.
»Keiner von uns wusste, dass Mariah schwanger war«,sagte Lizzie. »Deshalb waren wir so schockiert. Wir wussten auch nicht, dass sie einen Freund hatte. Mein Großvater und sie
verstanden sich sehr gut, deshalb denken wir jetzt, da könnte noch mehr gewesen sein. Vielleicht aber auch nicht. Wir müssen
das wissen! Abgesehen von den rechtlichen und finanziellen Konsequenzen schulden wir das einfach jedem Joyce-Nachwuchs … Wir wollen dieses Kind kennenlernen. Darf ich rauchen?«
»Nein, tut mir leid«, sagte Tolliver.
»Das Baby muss doch irgendwo sein. Es muss eine Geburtsurkunde geben«, sagte ich. »Selbst wenn es tot zur Welt gekommen wäre,
müsste es Krankenhausakten geben. Man muss nur wissen, wen und wo man fragen muss. Vielleicht können Sie einen Privatdetektiv
anheuern. Jemanden, der leicht an solche Unterlagen herankommt. Ich selbst nehme nur zu Toten Kontakt auf.«
»Das ist eine gute Idee«, sagte Katie. »Kennen Sie da jemanden?«
»Da Sie ohnehin in Garland sind …«, sagte Tolliver. »In Dallas lebt eine Frau, die ich sehr empfehlen kann. Sie heißt Victoria Flores. Sie war mal Polizistin
in Texarkana. Noch näher an Ihrer Ranch lebt ein ehemaliger Armeeangehöriger. Ich glaube, er wohnt in Longview. Er heißt Ray
Phyfe.«
»In Dallas gibt es viele große Detekteien«, sagte ich, als wäre das schwer herauszufinden.
»Wir wollen keine große Detektei«, sagte Lizzie. »Wir wollen die Sache so privat wie möglich halten.«
Genau die Antwort hatte ich erwartet. Ich hatte mich gewundert, warum sie ausgerechnet uns nach einer Empfehlung fragten.
Das Joyce-Imperium, von dem die RJ Ranch nur ein kleiner Teil war, hatte in der Vergangenheit bestimmt schon Detektive beauftragt.
Unter normalen Umständen hätten sich die Joyces mit Sicherheit an die ihnen vertrauteDetektei gewandt. Und die würde ihnen dann die Vorzugsbehandlung angedeihen lassen, die sie gewohnt waren.
Doch im Moment interessierte mich nicht, was sie wissen und wie sie an diese Informationen herankommen wollten. Ich wollte
nur jede Menge Schmerztabletten einnehmen und mich ins Bett verkriechen.
Lizzie sprach mit Tolliver über Victoria Flores, und er gab ihr Victorias Telefonnummer. Der Name rief Erinnerungen wach.
»Sie haben das wirklich gesehen?«, wandte sich Katie direkt an mich. »Sie erfinden das nicht nur, um uns zum Narren zu halten?
Und es hat Sie auch niemand dafür bezahlt, uns einen Streich zu spielen?«
»Ich spiele keine Streiche, falls Ihnen das noch nicht aufgefallen sein sollte. Ich nehme kein Geld für Falschinformationen.
Natürlich habe ich das wirklich gesehen. So etwas denkt man sich nicht aus.«
Lizzie hatte sich unseren kleinen Block und den billigen Motel-Kuli neben dem Telefon geschnappt, um sich Victorias Kontaktdaten
zu notieren.
»Sie ist neulich umgezogen«, sagte Tolliver. »Aber die Nummer stimmt noch.« Ich sah zu Boden und wollte mir mein Erstaunen
nicht anmerken lassen.
Nach weiteren Versicherungen und Wiederholungen von bereits Gesagtem gingen die Joyce-Schwestern. Ob sie wohl in Dallas übernachteten
oder gleich wieder zu ihrer Ranch zurückfuhren? Letzteres war eine ziemlich weite Strecke. Wenn sie in der Gegend blieben,
würden sie sich bestimmt eine vornehmere Unterkunft suchen, da war ich mir sicher. Wahrscheinlich besaßen sie in Dallas ohnehin
eine Wohnung.
»So, so«, sagte ich, nachdem sich die Tür hinter ihnen geschlossen und sich Tolliver wieder an den Tisch gesetzthatte, um am Computer weiterzuarbeiten. »Victoria Flores also.«
Mehr brauchte ich gar nicht zu sagen.
»Ich telefoniere manchmal mit ihr«, sagte Tolliver. »Ab und zu erfährt sie was Neues. Ab und zu entdeckt sie etwas. Sie schickt
mir die Rechnung, und ich bezahle sie.«
»Und davon hast du mir nie etwas erzählt,
Weitere Kostenlose Bücher