Harper Connelly 04 - Grabeshauch
Sie
fuhr herum und rannte davon.
Damit war der Tag endgültig verdorben.
»Und, was sagt dir deine Gabe?« Iona konnte wirklich hartnäckig sein.
»Nichts, was uns derzeit weiterhelfen könnte«, erwiderte ich. »Es gibt hier keine Leiche, falls dich das interessiert. Die
Nächstgelegene ist so alt, dass sie wahrscheinlich vor der Staatsgründung starb, und sie liegt tief vergraben im Vorgarten
deines Nachbarn. Wahrscheinlich ein Indianer. Ich müsste näher herangehen, um mir ganz sicher zu sein.«
Endlich hatte ich sie zum Schweigen gebracht. Meine Tante und mein Onkel starrten mich einfach nur mit offenem Mund an. Aber
das half uns auch nicht weiter. »Das hat allerdings nichts damit zu tun, dass Matthew heute auf der Eisbahn aufgetaucht ist«,
rief ich ihnen wieder ins Gedächtnis. »Solltet ihr nicht lieber eine einstweilige Verfügung gegenihn erwirken? Er hat doch schließlich keine Rechte mehr an den Mädchen, oder?«
»Nein, das stimmt«, sagte Hank, der sich schneller erholt hatte als seine Frau. »Wir haben sie adoptiert. Er hat sämtliche
Rechte abgetreten.«
»Ich will nicht die Polizei rufen«, sagte Iona. »Wir haben so oft mit der Polizei geredet, dass es uns ein für alle Mal reicht.«
»Wollt ihr, dass er wieder auftaucht? Und den Mädchen erneut einen Schrecken einjagt?«
»Nein! Aber wir hatten genug mit der Polizei zu tun, als deine Schwester entführt wurde! Wir wollen nicht, dass sie hier wieder
ein und aus geht.«
Ich konnte gut verstehen, dass sie nichts mit der Polizei zu tun haben wollten. Auch wenn die meisten Gesetzeshüter, die ich
kennengelernt habe, auch nur Menschen sind, die versuchen, ihren harten Job zu erledigen und noch dazu schlecht dafür bezahlt
werden. Aber abgesehen davon, dass Iona und Hank nicht wollten, dass ihr Haus erneut von Polizeiautos zugeparkt würde, waren
meine Schwestern auch so schon ernsthaft beunruhigt. Wenn dann noch Polizei auftauchte, sahen die Mädchen in Matthew eine
größere Bedrohung, als er es tatsächlich war. Er hatte schließlich keinen Grund, Mariella und Gracie wehzutun. Vielleicht
hatten Iona und Hank doch recht, wenn auch aus den falschen Gründen.
»Dann gibt es nichts, was wir tun können«, sagte Tolliver, der zum selben Schluss gekommen war wie ich. »Wir fahren dann mal.«
»Wie lange bleibt ihr in der Stadt?«, fragte Iona ein wenig verzweifelt. »Habt ihr schon einen neuen Auftrag?«
Sie hatte nie Wert darauf gelegt, dass wir länger blieben. Im Gegenteil, die anderen Male hatte sie es kaum erwarten können,
dass wir wieder fuhren.
»Vielleicht noch ein paar Tage«, sagte ich nach einem Blick auf Tolliver. Wir hatten tatsächlich noch keine Pläne, auch wenn
sich das jederzeit ändern konnte.
»Gut«, sagte sie und nickte, als hätten wir eine Vereinbarung getroffen. »Wir rufen euch also an, wenn er wieder auftaucht.«
Und was sollten wir dann tun? Ich wollte schon protestieren, als Tolliver sagte: »Einverstanden. Wir werden euch morgen auf
jeden Fall anrufen.«
»Ich werde mit dem Schuldirektor reden«, sagte Iona. »Ich hasse es, wenn über uns geredet wird, aber wenigstens die Lehrer
der Mädchen sollten wissen, dass Matthew sich hier rumtreibt.«
Ich war erleichtert. Mir fiel auf, dass meine Tante sehr mitgenommen wirkte, und auch Hank sah besorgt aus. Mir fiel wieder
ein, dass sie schwanger war. Hank fing meinen Blick auf und wies mit dem Kinn zur Tür. Ich versuchte, mich nicht aufzuregen.
Dachte er etwa, wir merkten nicht, dass wir jetzt lieber gehen sollten?
Tolliver sagte: »Gut, bis morgen also. Tschüs, Mädels!«, rief er in den Flur. Nach einer Sekunde sah ich, wie die Mädchen
den Kopf aus Mariellas Zimmer steckten, und ich winkte ihnen zu. Sie winkten zurück, wenn auch etwas zögerlich. Sie lächelten
nicht.
Wir stiegen schweigend in unseren Wagen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
»Wir müssen eine Weile bleiben, um sicherzustellen, dass er sie nicht belästigt«, sagte Tolliver, nachdem wir einen Block
entfernt waren.
»Aber was sollte ihn davon abhalten, so lange zu warten, bis wir weg sind, um dann wieder aufzutauchen?«
Tolliver schüttelte unwillig den Kopf, als umschwirrte ihn eine Biene. »Nichts kann ihn davon abhalten, sie zuverfolgen, wenn er das will. Ich weiß nicht, was wir tun sollen.«
»Er wird bestimmt warten, bis wir weg sind. Außerdem – wer sind wir schon? Eine Privatarmee? Warum haben wir auf einmal diese
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