Harper Connelly 04 - Grabeshauch
hast
Dinge getan, von denen uns allen kotzübel wurde. Wenn ich nicht da gewesen wäre, hättest du Harper glatt sterben lassen, als
sie der Blitz traf.«
Eine Welle der Erleichterung durchflutete mich. Tief in meinem Innern nagte die Angst, dass Tolliver eines Tages doch noch
auf seinen Dad hören, ihm glauben und sich wieder von ihm an der Nase herumführen lassen könnte.
»Wenigstens Mark hört mir zu«, sagte Matthew und stand auf.
Er stand kurz davor zu gehen, ohne dass ich ihn umgebracht hatte. Ich ließ ihn entkommen.
Aber mir blieb nichts anderes übrig. Ich hatte nur meine bloßen Hände zur Verfügung. Außerdem musste ich herausfinden, was
er mit Cameron gemacht und warum er es getan hatte. Ich glaube nicht, dass er Cameron sexuell begehrte. Einige seiner Freunde
hatten Sex mit uns haben wollen, aber nicht Matthew. Zumindest in dieser Hinsicht war ich mir ziemlich sicher. Aber irgendeinen
Grund musste es schließlich geben, und ich wollte ihn herausfinden. Ich stand auf und hatte die Hände zu Fäusten geballt.
Ich wusste nicht, ob ich auf ihn einschlagen sollte oder nicht.
Matthew spürte meine Feindseligkeit. Wenn man länger im Gefängnis gesessen hat, besitzt man eine Antenne dafür. Auf dem Weg
zur Tür blieb er bewusst auf Distanz. »Keine Ahnung, was heute mit dir los ist, Harper. Ich versuche nur, etwas wiedergutzumachen.«
»Aber das geht leider nicht«, sagte ich mit zusammengebissenen Zähnen.
»Ja«, erwiderte er mit einem nervösen Lachen. »Das habe ich auch schon gemerkt. Wir reden ein andermal weiter, mein Sohn.
Ich hoffe, es geht dir bald besser. Ruf mich an, wenn du mich brauchst.« Dann verließ er den Raum und zog die Tür hinter sich
zu. Er lebte immer noch.
»Setz dich zu mir«, sagte Tolliver so leise, dass ich ihn kaum hörte. »Setz dich zu mir und sag mir, was in dir vorgeht.«
»Er war in dem Gebäude, in dem sich auch die Arztpraxis befindet«, sagte ich. »Dein Vater war dort, heute Vormittag. Er verließ
gerade die Lobby, als wir hereinkamen.«
Ich blieb stehen und wartete, bis Tolliver diese Information verdaut hatte. Dann klopfte er neben sich auf das Sofa, und ich
setzte mich zu ihm. »Dann wollen wir mal überlegen«, sagte er, und ich hätte Purzelbäume schlagen können vor Freude, weil
er mich blind verstand.
Ich erzählte Tolliver von Dr. Bowden. Ich schilderte ihm die Geschichte des Arztes und kommentierte sie. Und er hörte mir Gott sei Dank zu. Er hörte sich
jedes Wort an, ohne mich ein einziges Mal zu unterbrechen. Von seiner Gereiztheit war nichts mehr zu spüren. Ich sagte ihm,
wie froh ich gewesen war, dass Manfred mich begleitet und dieselbe Geschichte gehört hatte wie ich, da ich ihr sonst kaum
Glauben geschenkt hätte.
»Und warum wolltest du deswegen meinen Dad umbringen?«
»Weil ich nicht an solche Riesenzufälle glaube. Was hatte Matthew in diesem Bürogebäude zu suchen? Bestimmt hat er Tom Bowden
besucht. Und woher kennt er den? Es muss irgendeine Verbindung zwischen ihm und den Joyces geben, oder zumindest zwischen
ihm und dem Familienmitglied, das Mariahs Schwangerschaft und die Geburt des Kindes geheim halten wollte.«
»Meinst du wirklich?«, wandte Tolliver ein. »Muss Dad wirklich mit einem oder mehreren Joyces unter einer Decke stecken? Wir
wissen nicht, wer den Arzt in jener Nacht zur Ranch gebracht hat. Aber wir wissen, dass Chip Moseley schon einmal in Texarkana
verhaftet wurde, zumindest geht das aus Victorias Unterlagen hervor. Er war also bestimmt öfter dort. Und wenn das stimmt,
was Tom Bowden sagt, wissen wir auch, dass die Joyces ein paar Ärzte dort hatten. Also besaßen auch sie Verbindungen dorthin.
Das ist kein sehr überzeugender Anknüpfungspunkt, aber immerhin ein Anknüpfungspunkt.«
»Und als wir die Joyces trafen, kamen mir beide Männer irgendwie bekannt vor.«
»Chip und Drex?«
Ich nickte. »Ich weiß, dass das nicht sehr aussagekräftig ist, weil ich den Grund dafür nicht benennen kann. Aber die meisten
Leute, an die ich mich nur noch vage erinnern kann, kamen zum Wohnwagen. Und ich hasse es, mich an diese Zeit zu erinnern.
Außerdem habe ich damals versucht, bewusst wegzusehen, weil es gefährlich war, zu wissen, wer Drogen kauft und verkauft.«
»Ja«, sagte Tolliver mit Nachdruck. »Das war gefährlich, und zwar jeden Tag aufs Neue, solange wir dort wohnten.«
»Deshalb glaube ich, dass dein Dad in die Sache verwickelt ist. Ich frage mich, ob er
Weitere Kostenlose Bücher