Harper Connelly 04 - Grabeshauch
mit dem blauen Pick-up nicht erzählen können«, sagte ich.
»Ich habe Ihnen aber auch gesagt, dass ich das Mädchen nicht richtig erkannt habe.«
»Ja«, sagte ich, obwohl ich das nach all den Jahren mehr oder weniger verdrängt hatte. Ich vermisste ein Mädchen, und sie
hatte gesehen, wie ein Mädchen in einen Pick-up stieg. Außerdem lag Camerons Rucksack dort.
Über die Leitung hörte ich ein lautes Seufzen. Dann begann Ida Beaumont zu reden. »Eine junge Frau bringt mir seit einem halben
Jahr Essen auf Rädern«, sagte sie. »Das Essen schmeckt zwar nicht, ist aber dafür umsonst. Manchmal bringt sie mir sogar so
viel, dass es für zwei Tage reicht. Sie heißt Missy Klein.«
»Aha«, sagte ich, weil ich nicht wusste, was ich sonst sagen sollte. Mein Herz sackte mir in die Hose, weil ich wusste, dass
sie schlechte Nachrichten für mich hatte.
»Und sie sagte zu mir: ›Mrs Beaumont, wissen Sie noch, wie Sie vor all den Jahren das Mädchen in den blauen Pick-up steigen
sahen?‹ Und ich sagte: ›Na klar, und es hat mir nichts als Ärger eingebracht.‹«
»Ja.« Die böse Vorahnung wurde immer stärker.
»Und dann hat sie mir erzählt, dass sie damals zu ihrem Freund in den Truck gestiegen ist, den sie eigentlich gar nicht treffen
durfte, weil er schon über zwanzig war.«
»Es war nicht meine Schwester?«
»Nein. Es war diese Missy Klein, und jetzt bringt sie mir Essen auf Rädern.«
»Sie haben meine Schwester nie gesehen.«
»Nein. Und Missy hat mir erzählt, dass dieser Rucksack bereits dort lag, als sie vorbeikam, um in seinen Wagen zu steigen.«
Ich drohte unter einer Riesenlast zusammenzubrechen. »Haben Sie das schon der Polizei erzählt?«, fragte ich schließlich.
»Nein, ich rufe die Polizei nicht an. Das hätte ich wahrscheinlich tun sollen, aber na ja, sie ist schon so oft gekommenund hat mich nach jenem Tag befragt … Peter Gresham schaut immer noch in regelmäßigen Abständen vorbei. Ich dachte, ich sage es ihm, wenn er das nächste Mal da
ist.«
»Danke«, sagte ich. »Ich wünschte, ich hätte das früher gewusst. Trotzdem danke, dass Sie es mir gesagt haben.«
»Aber das ist doch selbstverständlich. Ich dachte, Sie wären wütend auf mich«, sagte sie zu meinem Erstaunen.
»Ich bin froh, dass ich Sie angerufen habe. Auf Wiederhören«, sagte ich. Meine Stimme war genauso betäubt wie mein Herz. Jede
Minute konnte das Gefühl zurückkehren. Ich wollte nicht mehr mit dieser Frau telefonieren, wenn es so weit war.
Ida Beaumont sagte noch etwas über Essen auf Rädern, als ich auflegte.
Im selben Moment rief mich Lizzie Joyce an, ohne dass ich die Konsequenzen des soeben Gehörten überhaupt richtig begriffen
hatte. »Oh Gott!«, sagte sie. »Ich kann es kaum fassen, dass Victoria tot ist. Sie waren mit ihr befreundet, oder? Kannten
Sie sich schon lange? Harper, es tut mir so leid! Was, glauben Sie, ist ihr zugestoßen? Hatte es etwas mit der Suche nach
dem Baby zu tun?«
»Ich habe nicht die leiseste Ahnung«, erwiderte ich, auch wenn das gelogen war. Ich glaubte nicht, dass Lizzie Joyce etwas
mit dem Mord an Victoria zu tun hatte, aber jemand aus ihrem Umfeld sehr wohl. Ich wunderte mich, warum sie mich anrief. Hatte
Lizzie Joyce, die Geld wie Heu hatte, denn keine beste Freundin? Und was war mit der Schwester, dem Freund und dem Bruder?
Warum rief sie nicht Leute an, mit denen sie in irgendwelchen Vorständen saß? Leute, die für sie arbeiteten, ihr die Haare
und Fingernägel machten, bevor sie fein ausging? Leute, die die Tonnen für ihre Turniere aufstellten?
Nachdem ich ihr kurz zugehört hatte, merkte ich, dass Lizzie mit jemandem sprechen wollte, den sie nicht erst nocheinweihen musste. Mit jemandem, der Victoria gekannt hatte. Und ich war nun mal diejenige, auf die beides zutraf.
»Ich glaube, ich werde mich an die Detektei wenden, die die Firma meines Großvaters immer beauftragt«, sagte sie. »Dabei dachte
ich, es wäre besser, eine unabhängige Frau zu beschäftigen. Jemanden, der sich nicht mit unseren Geschäften auskennt und nicht
in unsere Familiengeschichte verwickelt ist. Doch vermutlich bin ich für ihren Tod verantwortlich. Wäre ich zu unserer üblichen
Detektei gegangen, wäre sie noch am Leben.«
Dem konnte ich nicht widersprechen. »Wieso arbeiten Sie überhaupt mit einer Detektei zusammen?«, erkundigte ich mich stattdessen.
»Granddaddy begann damit, als er Chef einer riesigen Firma wurde. Mehr als nur ein
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