Harrison, Kim - Hollows 7 - Blutkind
ihren gerade noch vertretbar kurzen Röcken begaffte.
Ich hörte gemurmelte Unterhaltungen und roch kalorienrei-che Appetithappen. In der Wärme entspannten sich meine Schultern. Verborgen hinter der Krümmung des Restaurants spielte eine Live-Band langsame Jazzmusik. Die Tische waren bis auf einen Ring an den Fenstern verschwunden. Elegant gekleidete Leute drifteten durch den Raum, mit kleinen Tellern oder Champagnergläsern in der Hand. Ab und zu vermischte sich ein weibliches Lachen mit dem Klappern des teuren Porzellans. Alles wirkte sehr niveauvoll. Keller bewegten sich ge-522
mächlich durch die Menge oder sprangen eifrig herum, je nachdem, was ihre Aufgabe war. Und hinter all dem lag die Silhouette von Cincinnati.
Ich vergaß für einen Moment alles und bewunderte einfach nur die Aussicht. Es war schon tagsüber toll gewesen, aber jetzt, mit den Lichtern vor dem schwarzen Himmel … war es atemberaubend. Die Hollows glitzerten und markierten den Umriss des Landes, wie es sich nach hinten hob. Das Lichtband der Schnellstraße bildete die informelle Grenze. Der Fluss war ein schwarzer Schatten, und ich konnte sehen, wo er sich über die Jahrtausende in die Hügel gefressen hatte.
Das Lachen einer Frau und ein Lichtblitz, als Jenks aus meiner Tasche flog, ließen mich die Augen abwenden. Sofort schienen die Unterhaltungen lauter zu werden. Jenks flog zweimal um mich herum, um seine Flügel zu bewegen, dann landete er auf Ivys Schulter. Sie starrte wie gebannt auf die Stadt. »Von hier oben wirkt sie so friedlich«, sagte sie, als ein Kellner ihr den Ausblick verstellte.
Jenks schnaubte. »Es wirkt auch friedlich, wenn du wirklich nah dran bist«, sagte er, und ich dachte an meinen Garten. »Nur im Mittelbereich wird es wirklich scheußlich.«
Eine Frau mit einem Tablett ging langsam an uns vorbei, und ich fing ihren Blick ein. Sie lächelte Jenks an und gab mir einen kleinen Teller. »Wir haben noch zwanzig Minuten«, sagte ich nervös und legte ein paar Appetithäppchen auf den Teller. »Jenks, willst du schon mal die Toiletten auskundschaf-ten?«
»Geht klar, Rachel«, sagte er und verschwand.
Die Blicke, die Ivy und mir zugeworfen wurden, machten deutlich, dass das hier fast ein Betriebsfest war. Jeder schien jeden zu kennen, und sie trugen alle ungefähr denselben Stil.
Elegant, aber ein wenig altmodisch - stilvolle Streber vielleicht? Kein Wunder, dass Ivy und ich beäugt wurden.
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Langsam bahnten wir uns einen Weg in den sich drehenden Teil. Ballons hingen für Mitternacht in Netzen an der Decke bereit, und das Licht war gedimmt, um die Aussicht nicht zu stören. Ich sah niemanden, den ich kannte, aber es war auch schon eine Weile her, dass ich in der Schule gewesen war, und auf der Uni hatte ich nur einen Kurs belegt. Ich war durchgefal-len, aber nur, weil die Lehrerin ihren eigenen Tod vorgetäuscht hatte, bevor das Semester zu Ende war.
Ivy riss sich zwei Gläser mit leicht bernsteinfarbener Flüssigkeit unter den Nagel, während wir uns vorwärtsschoben. Sie gab mir eines, und sobald wir die Band gefunden hatten, blieb ich neben einer großen Topfpflanze am Fenster stehen. Es gab eine kleine Tanzfläche, und ich drehte mich um, als jemand anfing »What’s New« zu singen. Dreck, es war dieselbe Band, die auf Trents Hochzeitsprobe gespielt hatte - wenn auch we-sentlich kleiner. Diesmal waren es nur fünf Musiker. Aber sie war es. Die Stimme der Sängerin geriet kurz ins Schwanken, als sie mich erkannte, und ich wandte den Blick ab. Erkannt zu werden sollte keine Angst auslösen.
»Nette Band«, sagte Ivy, als sie sah, dass ich rot wurde. Sie holte tief Luft und fügte hinzu: »Edden ist hier.«
Mit dem Rücken zur Band starrte ich sie an. »Edden? Du kannst ihn riechen?«
Sie lächelte. »Er steht direkt hinter dir.«
Überrascht wirbelte ich herum und verschüttete dabei fast meinen Drink. »Edden!«, rief ich, stellte mein Glas ab und be-
äugte seinen Smoking. Seitlich an der Brust hatte er eine Beule, die mir verriet, dass er seine Waffe im Holster trug, aber er sah toll aus mit zurückgekämmten Haaren. »Was tust du hier?«, fragte ich.
»Ich arbeite«, sagte er und war offensichtlich froh, mich zu sehen. »Wie ich sehe, ist Glenn zu dir durchgedrungen. Danke, dass du gekommen bist. Du siehst gut aus.« Er musterte auch Ivy und fügte hinzu: »Ihr beide seht gut aus.«
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Ivy lächelte, aber ich war durcheinander. »Deswegen bin ich nicht hier«, sagte ich. »Ich habe
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