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Harry Bosch 03 - Die Frau im Beton

Harry Bosch 03 - Die Frau im Beton

Titel: Harry Bosch 03 - Die Frau im Beton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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eröffnenden Worten kam Chandler schnell zum Kern der Sache: »Sie werden sich erinnern, daß ich am Montag hier stand und Ihnen den Weg der Beweisführung skizzierte. Ich habe Ihnen gesagt, was ich beweisen würde, und nun ist es an Ihnen zu entscheiden, ob ich das getan habe. Wenn Sie die Zeugenaussagen in dieser Woche in Betracht ziehen, werden Sie keine Zweifel haben, daß ich recht habe.
    Da wir von Zweifel sprechen: Der Richter wird Ihnen Instruktionen geben, aber ich möchte Ihnen noch einmal kurz erklären, daß dies ein Zivilprozeß ist. Es ist kein Strafprozeß. Es ist nicht wie Perry Mason, oder was Sie sonst im Fernsehen oder im Film gesehen haben. In einem Zivilverfahren reicht es aus, wenn die Beweise der Klägerseite überwiegen. Das heißt, die Beweise für die Klägerseite haben mehr Gewicht als die Beweise gegen sie. Eine einfache Mehrheit, nur einundfünfzig Prozent reichen.«
    Sie verweilte noch länger bei diesem Gegenstand, weil dies über Gewinn und Verlust entschied. Ihr Ziel war es, zwölf juristisch unerfahrene Geschworene – die Jury-Auswahl garantierte das – die ihnen von den Medien eingepflanzten Vorstellungen auszutreiben, daß Fälle danach entschieden wurden, ob etwas ohne jeglichen Zweifel feststand. Das galt für Strafrechtsverfahren. Dies war Zivilrecht, und der Beklagte hatte nicht den Vorteil, den ein Angeklagter in einem Strafprozeß hatte.
    »Stellen Sie sich zwei Waagschalen vor. Die Waage der Gerechtigkeit. Jedes Beweisstück, jede Aussage hat ein bestimmtes Gewicht, das Sie ihnen zumessen. Auf einer Seite ist die Waagschale der Klägerin, auf der anderen die des Beklagten. Ich glaube fest, wenn Sie sich zur Beratung zurückziehen und die Beweise gewogen haben, werden Sie ohne Zweifel sehen, daß die Waage zugunsten der Klägerin ausgeschlagen hat. Wenn Sie dies feststellen, müssen sie zugunsten von Mrs. Church entscheiden.«
    Nachdem sie ihre Eröffnungszüge gemacht hatte, mußte sie, wie Bosch wußte, jetzt den Rest klug einfädeln. Denn die Klägerseite hatte eine Parallelstrategie verfolgt, in der Hoffnung, auf die eine oder andere Weise zu gewinnen. Die erste behauptete, daß Norman Church möglicherweise der Puppenmacher war, aber selbst dann hatte Bosch mit seinem Handeln als Polizist ein fürchterliches Verbrechen begangen, das geahndet werden mußte. Die zweite Darstellung vertrat die Behauptung, daß Norman Church unschuldig war und Bosch ihn kaltblütig getötet hatte, so daß ein liebender Vater und Gatte aus dem Kreis seiner Familie gerissen wurde. Falls die Jury dieser Version zustimmte, würde die Klägerseite eine riesige Geldsumme erhalten.
    »Die in dieser Woche vorgelegten Beweise führen zu zwei möglichen Urteilssprüchen«, sagte Chandler zur Jury. »Und Ihre schwierigste Aufgabe wird es sein zu entscheiden, in welchem Maße Detective Bosch Schuld trägt. Es ist ohne Zweifel klar, daß er übereilt, fahrlässig und ohne gebührende Rücksicht auf Leben und Sicherheit von Norman Church handelte. Es gibt keine Entschuldigung für sein Handeln. Ein Mensch mußte es mit seinem Leben bezahlen. Eine Familie verlor den Vater und Ehegatten.
    Aber das ist nicht alles. Sehen Sie sich den Mann an, der getötet wurde. Das Video liefert nicht nur ein eindeutiges Alibi für zumindest einen der Norman Church zur Last gelegten Morde – in den Augen derer, die ihn lieben, entlastet es ihn total –, es sollte Sie auch davon überzeugen, daß die Polizei den Falschen hatte. Falls nicht, sollte Detective Bosch’ eigenes Zugeständnis im Zeugenstand klarstellen, daß die Morde nicht aufhörten, daß er den falschen Mann tötete.«
    Bosch sah, wie Belk auf seinem Block schrieb. Hoffentlich notierte er sich auch die Teile der Zeugenaussagen von Bosch und anderen, die Chandler passenderweise ausließ.
    »Und schließlich«, sagte sie, »betrachten Sie nicht nur den Mann, der getötet wurde, sondern auch seinen Killer.«
    Killer, dachte Bosch. Es hörte sich fürchterlich an, wenn man ihn damit meinte. In Gedanken wiederholte er das Wort, wieder und wieder. Ja, er hatte getötet. Er hatte vor und nach Church getötet. Aber ohne weitere Erklärung einfach Killer genannt zu werden, war schrecklich. In diesem Moment merkte er, daß ihm der Prozeß doch nicht egal war. Es spielte keine Rolle, was er vorher zu Belk gesagt hatte; er wollte, daß die Jury sein Handeln guthieß. Er wollte hören, daß er das Richtige getan hatte.
    »Vor sich sehen Sie einen Mann«, sagte sie,

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