Harry Bosch 07 - Dunkler als die Nacht
Sie kennen das ja. Die Schwester und, in einem geringeren Maß, Bosch könnten mir dabei helfen.«
»Ich habe Sie nur gebeten, sich die Akte und das Video anzusehen, Terry. Aber so machen Sie mir ein schlechtes Gewissen.«
McCaleb wartete, bis die Bedienung Winstons Kaffee und die zwei Gläschen mit Boysenbeeren- und Ahornsirup auf den Tisch gestellt hatte. Nachdem sie gegangen war, sagte er: »Sie wussten ganz genau, dass ich anbeißen würde, Jaye. ›Hab Acht, hab Acht, Gott sieht‹? Ich bitte Sie. Wollen Sie mir etwa weismachen, Sie hätten gedacht, ich würde mir nur alles ansehen und Ihnen dann telefonisch meine Meinung dazu sagen? Außerdem beklage ich mich ja gar nicht. Ich bin hier, weil ich hier sein will. Wenn Sie ein schlechtes Gewissen haben, können Sie ja die Pfannkuchen bezahlen.«
»Was hat Ihre Frau dazu gesagt?«
»Nichts. Sie weiß, dass das etwas ist, was ich tun muss. Ich habe sie nach der Überfahrt vom Hafen aus angerufen. Zu diesem Zeitpunkt war es für sie außerdem schon zu spät, um noch was zu sagen. Sie hat mich lediglich gebeten, vor der Rückfahrt aus dem El Cholo eine Packung grüne Mais-Tamales mitzunehmen. Dort haben sie tiefgefrorene.«
Die Pfannkuchen kamen. Sie hörten auf zu reden und McCaleb wartete höflich, dass Winston als Erste einen Sirup auswählte. Aber sie schob ihre Pfannkuchen nur mit der Gabel auf dem Teller herum. Schließlich hielt er es nicht mehr länger aus. Er übergoss seinen Stapel mit Ahornsirup und begann zu essen. Die Bedienung kam noch einmal vorbei und legte die Rechnung auf den Tisch. Winston schnappte sie sich rasch.
»Das geht auf die Rechnung des Sheriffs.«
»Sagen Sie ihm herzlichen Dank.«
»Ich weiß wirklich nicht, was Sie sich eigentlich von Harry Bosch erhoffen. Er hat mir erzählt, er hätte in den sechs Jahren seit dem Prostituiertenmord nur vier-, fünfmal mit Gunn zu tun gehabt.«
»Wann war das? Als er eingebuchtet wurde?«
Winston, die sich gerade Boysenbeerensirup über ihre Pfannkuchen goss, nickte.
»Das heißt, er hat ihn am Abend vor seiner Ermordung gesehen. Davon stand aber nichts in der Akte.«
»Ich habe es nicht vermerkt. War auch ja auch keine größere Aktion. Der diensthabende Sergeant rief ihn an und sagte ihm, Gunn sei nach einer Sauftour in der Ausnüchterungszelle gelandet.«
McCaleb nickte.
»Und?«
»Und Bosch fuhr hin, um sich den Typen anzusehen. Das war alles. Er sagte, sie hätten nicht mal miteinander geredet, so voll sei er gewesen.«
»Tja … trotzdem möchte ich mit Harry sprechen. Ich habe mal an einem Fall mit ihm gearbeitet. Er ist ein guter Polizist. Mit Intuition und scharfer Beobachtungsgabe. Vielleicht weiß er etwas, was mir weiterhilft.«
»Dazu müssen Sie erst mal an ihn rankommen.«
»Wieso?«
»Wissen Sie denn nicht, dass er im Mordprozess gegen David Storey der Staatsanwaltschaft assistiert? Oben in Van Nuys. Sehen Sie keine Nachrichten?«
»Ach ja, stimmt, habe ich ganz vergessen. Aber jetzt fällt mir wieder ein, nach Storeys Festnahme habe ich seinen Namen in der Zeitung gelesen. Das war wann? Im Oktober? Und der Prozess fängt jetzt schon an?«
»Ja. Es gab keinerlei Verzögerungen. Und eine Voruntersuchung war nicht nötig, weil der Fall bei der Grand Jury glatt durchgegangen ist. Sie konnten sofort mit der Auswahl der Geschworenen anfangen. Soviel ich gehört habe, haben sie bereits alle Geschworenen beisammen, sodass sie wahrscheinlich noch diese Woche, vielleicht sogar schon heute, anfangen werden.«
»Mist.«
»Ja, im Moment dürfte es nicht ganz einfach sein, an Bosch ranzukommen. Jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, dass er für so was im Moment ein besonders offenes Ohr haben wird.«
»Wollen Sie damit sagen, Sie möchten nicht, dass ich mit ihm spreche?«
Winston hob die Schultern.
»Nein, das will ich damit nicht sagen. Machen Sie, was Sie wollen. Ich dachte nur nicht, dass Sie gleich einen solchen Aufwand betreiben würden. Ich kann ja mit meinem Captain sprechen, ob Sie vielleicht ein Beraterhonorar bekommen, aber …«
»Machen Sie sich deswegen mal keine Gedanken. Der Sheriff spendiert mein Frühstück. Das genügt.«
»Finde ich aber nicht.«
Er sagte ihr nicht, dass er den Fall auch umsonst übernehmen würde, nur um wieder ein paar Tage in seinen alten Job zurückkehren zu können. Und er sagte ihr auch nicht, dass er ohnehin kein Geld von ihr annehmen durfte. Wenn er ein »offizielles« Einkommen hatte, verlor er den Anspruch auf die
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