Harry Bosch 07 - Dunkler als die Nacht
der Zwischenzeit einen kleinen Spaziergang.«
Er ging zur Tür.
»Ich komme mit Ihnen«, sagte Rohrshak.
McCaleb drehte sich um.
»Nein, Mr. Rohrshak, Sie müssen bei Detective Winston bleiben. Wir brauchen einen unabhängigen Zeugen, der beobachtet, was wir in der Wohnung machen.«
Er sah über Rohrshaks Schulter hinweg Winston an, die ihm zuzwinkerte. Demnach hatte sie verstanden, was er mit dieser getürkten Geschichte bezweckte.
»Ja, Mr. Rohrshak. Wenn es geht, bleiben Sie bitte hier.«
Rohrshak hob achselzuckend die Hände.
McCaleb ging in den geschlossenen Innenhof des Mietshauses hinunter, stellte sich genau in seine Mitte und drehte sich, den Blick immer auf die Kante des Flachdachs gerichtet, einmal um seine Achse. Als er die Eule nirgendwo entdeckte, ging er durch die Eingangshalle auf die Straße hinaus.
Auf der anderen Seite der Sweetzer war das Braxton Arms, ein dreigeschossiges L-förmiges Apartmenthaus mit Außengängen und -treppen. McCaleb überquerte die Straße und blieb vor dem Tor in dem knapp zwei Meter hohen Gitter stehen, das das Grundstück umgab. Das Ganze diente mehr der Optik als der Abschreckung. Er zog seine Windjacke aus, legte sie zusammen und klemmte sie zwischen zwei Gitterstäbe des Tors. Dann stellte er einen Fuß auf den Griff des Tors, belastete ihn probeweise mit seinem ganzen Gewicht, schwang sich über das Tor und sprang auf der anderen Seite zu Boden. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass niemand ihn beobachtete, nahm er seine Windjacke und ging auf die Treppe zu.
Er stieg in den zweiten Stock hinauf und folgte dem außen liegenden Gang zur Vorderseite des Gebäudes. Über das Tor zu klettern und die Treppe hinaufzusteigen hatte ihn so angestrengt, dass er sich eine Weile vornübergebeugt am Geländer festhielt, als er die Vorderseite des Gebäudes erreichte. Sobald er wieder etwas zu Atem gekommen war, blickte er über die Sweetzer auf das Flachdach des Apartmenthauses, in dem Edward Gunn gewohnt hatte. Auch dort war die Plastikeule nicht.
McCaleb stützte sich mit den Unterarmen auf das Geländer und rang weiter um Atem. Während er seinem langsam sich beruhigenden Herzschlag lauschte, spürte er, wie ihm auf der Kopfhaut der Schweiß ausbrach. Er wusste, es war nicht sein Herz, das schwach war. Es war er selbst, geschwächt von den vielen Medikamenten, die er nehmen musste, damit sein Herz stark blieb. Es frustrierte ihn. Er wusste, dass er nie mehr stark sein würde, dass er sein ganzes Lebens lang auf sein Herz horchen würde, wie ein Einbrecher, der in der Nacht auf das Knarren des Bodens lauscht.
Als er ein Fahrzeug hörte, blickte er nach unten und sah einen weißen Van mit dem Wappen des Sheriffs auf der Fahrertür vor dem Mietshaus gegenüber anhalten. Die Spurensicherung war eingetroffen.
McCaleb sah noch einmal auf das Dach des gegenüberliegenden Gebäudes, bevor er sich niedergeschlagen zum Gehen wandte. Plötzlich blieb er stehen. Da war die Eule! Sie hockte auf dem Kompressor der zentralen Klimaanlage auf dem Dach des L-Fortsatzes des Gebäudes, in dem er sich befand.
Rasch ging er zur Treppe und stieg zum Dach hinauf. Er musste sich an ein paar Möbelstücken vorbeizwängen, die auf dem Treppenabsatz abgestellt waren, aber die Tür war nicht abgeschlossen. Er eilte über das kiesbedeckte Flachdach auf die Klimaanlage zu. Bevor er die Eule anfasste, sah er sie sich sehr genau an. Ihr Aussehen deckte sich mit seinen Erinnerungen an die Eule aus dem Tatortvideo und sie hatte einen achteckigen Fuß. Er war sicher, dass es die fehlende Eule war. Er entfernte den Draht, der um den Fuß geschlungen und am Gitter des Ansaugrohrs der Klimaanlage befestigt war. Dabei stellte er fest, dass das Gitter und die Metallabdeckung der Klimaanlage von altem Vogeldreck gesprenkelt waren. Vermutlich war die Verschmutzung durch die Vögel ein ziemliches Problem, weshalb Rohrshak, der anscheinend auch dieses Gebäude verwaltete, die Eule aus Gunns Wohnung genommen hatte, um die Vögel fernzuhalten.
McCaleb nahm den Draht und schlang ihn so um den Hals der Eule, dass er sie tragen konnte, ohne sie anzufassen, auch wenn er bezweifelte, dass sich noch brauchbare Fingerabdrücke oder Fasern auf ihr befanden. Er hob sie von der Klimaanlage und ging zur Treppe zurück.
Als er in Edward Gunns Wohnung zurückkam, holten dort zwei Männer von der Spurensicherung verschiedene Instrumente aus einem Werkzeugkasten. Vor dem Geschirrschrank stand eine Klappleiter.
»Am
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