Harry Bosch 07 - Dunkler als die Nacht
von Wissen kommt Weisheit. So weit alles klar?«
McCaleb brauchte sich keine Notizen zu machen. Was Doran gesagt hatte, lag auf der Hand. Aber um den Faden nicht zu verlieren, schrieb er eine Zeile.
Im Dunkeln sehen = Weisheit
Dann unterstrich er das letzte Wort.
»Okay, gut. Was sonst noch?«
»Das ist praktisch schon alles, was ich in puncto zeitgenössischer Symbolik habe. Wenn man allerdings etwas weiter zurückgeht, wird die Sache plötzlich sehr interessant. Unsere Eule hat eine enorme Image-Aufwertung erfahren. Sie stand mal in einem ganz anderen Ruf.«
»Dann schießen Sie mal los, Brass.«
»Haben Sie einen Stift zur Hand? Vom frühen Mittelalter an bis in die Spätrenaissance taucht die Eule sowohl in der weltlichen wie in der religiösen Kunst immer wieder auf. Besonders oft findet man sie in allegorischen religiösen Darstellungen – auf Gemälden, Altarbildern, Kreuzwegstationen. Die Eule war –«
»Das ist ja alles schön und gut, Brass, aber was hat sie bedeutet?«
»Dazu komme ich gerade. Je nachdem, welche Spezies abgebildet ist, kann ihre Bedeutung von Darstellung zu Darstellung variieren. Aber grundsätzlich war sie ein Symbol des Bösen.«
McCaleb schrieb das Wort auf.
»Das Böse. Okay.«
»Ich hatte eigentlich mit etwas mehr Begeisterung gerechnet.«
»Das ist nur, weil Sie mich nicht sehen können. Ich stehe hier buchstäblich Kopf. Was haben Sie sonst noch?«
»Ich lese Ihnen jetzt einfach mal meine Trefferliste vor. Die folgenden Bedeutungsmöglichkeiten stammen alle aus der wissenschaftlichen Literatur über die Kunst dieser Epoche. Bildliche Darstellungen von Eulen können – ich zitiere jetzt – für Folgendes stehen: Verdammnis, Feind der Unschuld, der Teufel selbst, Ketzerei, Torheit, Tod und Unglück, der Vogel der Dunkelheit und schließlich die Qualen der menschlichen Seele auf ihrem unaufhaltsamen Weg in die ewige Verdammnis. Richtig reizend, nicht? Vor allem die letzte Bedeutung gefällt mir. Jedenfalls, reißenden Absatz hätten im fünfzehnten Jahrhundert Kartoffelchipstüten mit Eulen drauf wahrscheinlich nicht gefunden.«
McCaleb antwortete nicht. Er war damit beschäftigt, die Bedeutungen aufzuschreiben, die sie ihm vorgelesen hatte.
»Könnten Sie die letzte noch mal wiederholen?«
Das tat sie und er notierte sie sich wörtlich.
»Das ist noch nicht alles«, fuhr Doran fort. »Es gibt auch Deutungen der Eule als Symbol der Vergeltung und der Strafe für böse Taten. Offensichtlich hat sie also zu verschiedenen Zeiten für verschiedene Menschen verschiedene Dinge bedeutet.«
»Strafe für böse Taten«, sagte McCaleb, während er es schrieb.
Er sah auf die Liste, die er zusammengestellt hatte.
»Sonst noch was?«
»Reicht Ihnen das etwa immer noch nicht?«
»Doch, eigentlich schon. Stand da auch etwas über Bücher, in denen etwas über diese Abbildungen oder über die Namen von Künstlern oder Autoren zu finden ist, die den so genannten ›Vögel der Dunkelheit‹ in ihren Werken verwendet haben?«
Doran war eine Weile still und McCaleb hörte nur noch das Geräusch umgeblätterter Seiten.
»Viel habe ich hier nicht. Keine Bücher. Aber ich kann Ihnen die Namen einiger der erwähnten Künstler nennen und vielleicht können Sie im Internet oder eventuell in der Bibliothek der UCLA noch mehr zu diesem Thema finden.«
»Gut.«
»Ich muss schnell machen. Wir fangen hier gleich an.«
»Dann machen Sie.«
»Also, ich habe einen Künstler namens Bruegel, der ein riesiges Gesicht als Pforte zur Hölle gemalt hat. Im Nasenloch des Gesichts nistet eine braune Eule.«
Sie begann zu lachen. »Also, von mir ist das nicht. Ich gebe hier nur wieder, was ich gefunden habe.«
»Klasse.« McCaleb notierte sich die Beschreibung. »Weiter.«
»Okay, zwei andere Maler, die die Eule als Symbol des Bösen verwendet haben, waren Van Oostanen und Dürer. Die Titel spezieller Gemälde habe ich da allerdings nicht.«
Er hörte neuerliches Blättern. Er bat sie, ihm die Namen der Künstler zu buchstabieren, und schrieb sie auf.
»So, jetzt habe ich es. Im Werk des letzten Typen wimmelt es angeblich nur so von Eulen. Seinen Vornamen kann ich nicht aussprechen. Er wird H-I-E-R-O-N-Y-M-U-S buchstabiert. Er war Niederländer, ein Vertreter der Renaissance im Norden. Die müssen es wohl schwer mit Eulen gehabt haben.«
McCaleb sah auf das Blatt Papier vor ihm. Der Name, den sie gerade buchstabiert hatte, kam ihm bekannt vor.
»Sie haben den Nachnamen vergessen. Wie
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