Harry Bosch 07 - Dunkler als die Nacht
könnte?«
McCaleb nahm einen weiteren Bissen, während Bosch antwortete.
»Also, ich schätze, er ist mit jemand seines Schlags aneinander geraten. Mit irgend so einer anderen asozialen Type. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich hoffe, Sie und Jaye kriegen diesen Kerl. Aber ansonsten könnte ich nicht behaupten, dass ich mir sonderlich Gedanken darüber mache, was der oder die Betreffende getan hat, wenn Sie wissen, was ich meine.«
»Komisch, dass Sie auch von einer ›Sie‹ sprechen. Glauben Sie, es könnte eine Frau gewesen sein?«
»Dazu weiß ich nicht genügend über die Sache. Aber wie gesagt, er hatte ein ziemlich spezielles Verhältnis zu Frauen. Vielleicht bekam eine die Schnauze gestrichen voll von ihm.«
McCaleb nickte nur. Ihm fiel nichts ein, was er noch fragen könnte. Viel versprochen hatte er sich von Bosch ohnehin nicht. Vielleicht hatte er sogar gewusst, dass es darauf hinauslaufen würde, und hatte sich aus anderen Gründen wieder einmal mit ihm treffen wollen. Sein Blick blieb auf seinem Pappteller ruhen, als er fragte: »Denken Sie noch an das Mädchen auf dem Hügel, Harry?«
Er wollte den Namen, den Bosch ihr gegeben hatte, nicht laut aussprechen.
Bosch nickte.
»Ab und zu. Sie geht mir nach. Aber das tun eigentlich alle.«
McCaleb nickte.
»Mhm. Dann hat also nichts … niemand Anspruch auf sie erhoben?«
»Nein. Und ich habe es ein letztes Mal mit Seguin versucht, fuhr rauf nach Q, um ihn zu sehen, letztes Jahr, eine Woche bevor er gegrillt wurde. Ein letzter Versuch, noch was aus ihm rauszukriegen. Aber er hat mich nur angegrinst. Es war, als wüsste er, dass das das Letzte war, womit er mir noch eins auswischen konnte. Irgendwas in der Art jedenfalls. Er hat es richtig genossen, das war ganz deutlich zu sehen. Ich stand also auf, um zu gehen, und wünschte ihm viel Spaß in der Hölle – und wissen Sie, was er zu mir gesagt hat? Er hat gesagt: ›Ich habe gehört, die Hitze, die sie dort haben, ist eine trockene Hitze.‹«
Bosch schüttelte den Kopf.
»Der Arsch. Ich bin an meinem freien Tag raufgefahren. Hin und zurück zwölf Stunden im Auto und zu allem Überfluss war auch noch die Klimaanlage kaputt.«
Er sah McCaleb direkt an und selbst durch die Sonnenbrille spürte McCaleb wieder die innere Verbundenheit, die vor so langer Zeit zwischen ihm und diesem Mann bestanden hatte.
Bevor er etwas sagen konnte, hörte er, wie das Handy in der Tasche seiner Windjacke, die zusammengefaltet neben ihm auf der Bank lag, zu trällern begann. Er kämpfte auf der Suche nach der richtigen Tasche mit der Jacke und fand das Telefon, bevor der Anrufer auflegte. Es war Brass Doran.
»Ich habe was für Sie. Nicht viel, aber vielleicht ein Anfang.«
»Sind Sie gerade irgendwo, wo ich Sie in ein paar Minuten zurückrufen kann?«
»Ich bin eigentlich gerade im großen Konferenzsaal. Wir sind im Begriff, ein Brainstorming zu einem Fall zu machen, und ich leite das Ganze. Könnte ein paar Stunden dauern, bis ich wieder zu sprechen bin. Wenn Sie wollen, können Sie mich heute abend zu Hause …«
»Nein, Augenblick bitte.«
Er hielt das Telefon nach unten und sah Bosch an.
»Ich würde den Anruf lieber sofort entgegennehmen. Ich melde mich später bei Ihnen, falls es was Neues gibt, ja?«
»Klar.«
Bosch stand auf. Er nahm sein Coke mit.
»Danke.« McCaleb reichte ihm die Hand. »Viel Glück beim Prozess.«
Bosch schüttelte sie.
»Danke. Das werden wir wahrscheinlich brauchen.«
McCaleb beobachtete, wie er den Bereich mit den Außentischen verließ und zum Gerichtsgebäude zurückging. Dann hob er das Telefon wieder.
»Brass?«
»Ja. Also, Sie haben doch von Eulen allgemein gesprochen, richtig? Die genaue Art oder Gattung wissen Sie nicht, oder?«
»Nein. Es ist einfach eine Eule, glaube ich.«
»Welche Farbe hat sie?«
»Äh, sie ist hauptsächlich braun. Am Rücken und auf den Hügeln.«
Er nahm beim Sprechen ein paar zusammengefaltete Blätter Notizpapier und einen Stift aus der Tasche, schob seinen halb gegessenen Chili Dog beiseite und bereitete sich darauf vor, Notizen zu machen.
»Also, die moderne Ikonographie ist genau das, was Sie erwartet haben. Die Eule ist das Symbol der Weisheit und Wahrheit; sie steht für Wissen, für den großen Überblick im Gegensatz zu Detailkenntnissen. Die Eule sieht in der Nacht. Mit anderen Worten, im Dunkeln sehen zu können bedeutet, die Wahrheit sehen zu können. Und die Wahrheit herauszufinden ist gleichbedeutend mit Wissen. Und
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