Harry Bosch 09 - Letzte Warnung
Würden Sie auch etwas abgeben? Wie viel von der Belohnung würden Sie herausrücken?«
Ich nickte. Jetzt war mir alles klar. Die Belohnung.
»Mr Szatmari, Sie sehen das völlig falsch. Sie haben ein völlig falsches Bild von mir.«
»Klar. Sobald Sie die Belohnung haben, sind Sie über alle Berge. Mit Ihresgleichen habe ich ständig zu tun. Kommen hier an, wollen Informationen abstauben und auf die Schnelle einen Haufen Geld verdienen.«
Sein Akzent wurde stärker, als er in Rage geriet. Ich schlug das Mordbuch auf und blätterte zu den Schwarzweißkopien von den Fotos des Mordopfers. Ich riss die Seite mit Angella Bentons Händen heraus und klatschte sie auf den Schreibtisch.
»Deshalb mache ich es. Nicht wegen des Geldes. Ihretwegen. Ich war damals am Tatort. Ich war Polizist. Inzwischen bin ich pensioniert, aber bis mir der Fall entzogen wurde, habe ich die Ermittlungen geleitet. Deshalb komme ich wahrscheinlich auch nicht für eine Belohnung in Frage.«
Szatmari betrachtete die körnige Kopie des Fotos. Dann sah er auf den Ordner in meinem Schoß. Dann sah er endlich mich an.
»Jetzt erinnere ich mich wieder an Sie. An Ihren Namen. Sie waren der Polizist, der einen der Räuber angeschossen hat.«
Ich nickte.
»Ich war damals dabei, aber da wir die Räuber nie gefunden haben, ist nicht hundertprozentig sicher, wer den Mann wirklich getroffen hat.«
»Ach, kommen Sie, acht Wachmänner und ein alter LAPD-Hase. Das waren Sie.«
»Wahrscheinlich schon.«
»Übrigens habe ich damals versucht, mit Ihnen zu sprechen. Sie zu interviewen. Aber das Department hat mich abgewimmelt.«
»Wie das?«
»Sie haben alles getan, um andere Ermittler auf Abstand zu halten. Das ist bei der Polizei gängige Praxis.«
»Ich weiß. Ich erinnere mich.«
Er lächelte und lehnte sich in seinen Stuhl zurück.
»Und jetzt kommen Sie hier an und wollen, dass ich mit Ihnen kooperiere. Entbehrt nicht einer gewissen Ironie, nicht?«
»Allerdings.«
»Ist das da das Mordbuch? Dürfte ich bitte mal einen Blick reinwerfen?«
Ich reichte ihm den dicken Ordner. Er legte ihn auf den Schreibtisch, schlug ihn auf und begann darin zu blättern, bis er zum ursprünglichen Tatbestandsprotokoll kam. Zum Mord. Er fuhr mit dem Finger die Seite hinunter, bis er unter der Rubrik ›Ermittelnder Beamter‹ auf meinen Namen stieß. Danach klappte er das Mordbuch wieder zu, gab es aber nicht zurück.
»Warum jetzt auf einmal? Warum nehmen Sie die Ermittlungen wieder auf?«
»Weil ich gerade in Pension gegangen bin und weil das einer der Fälle ist, die mich nicht loslassen.«
Er nickte zum Zeichen, dass er verstand.
»Wie Ihnen sicher bewusst ist, war Gegenstand unserer Ermittlungen das Geld, nicht die Frau.«
»Meiner Ansicht nach hängt das alles zusammen.«
»Unsere Ermittlungen sind nicht mehr aktiv. Das Geld ist inzwischen weg. Aufgeteilt, ausgegeben. Nachdem keine Möglichkeit besteht, es wiederzubeschaffen … es kommen ständig andere Fälle nach.«
»Das Geld wurde abgeschrieben«, sagte ich, »aber nicht die Frau. Nicht von mir jedenfalls. Nicht von denen, die sie kannten.«
»Kannten Sie sie denn?«
»Ich habe sie an dem Tag kennen gelernt.«
Er nickte wieder. Anscheinend verstand er, was das bedeutete. Er richtete die Ecken eines der Aktenstapel auf seinem Schreibtisch aus.
»Haben Ihre Ermittlungen zu irgendetwas geführt? Hat sich irgendeine Spur aufgetan?«
Er ließ sich mit der Antwort Zeit.
»Nein, eigentlich nicht. Nur Sackgassen.«
»Wann haben Sie den Fall zu den Akten gelegt?«
»Das weiß ich nicht mehr. Jedenfalls schon vor einiger Zeit.«
»Wo ist Ihre Akte zu dem Fall?«
»Meine Akte darf ich Ihnen nicht geben. Das wäre ein Verstoß gegen die Unternehmenspolitik.«
»Wegen der Belohnung, stimmt's? Wenn eine Belohnung ausgesetzt ist, erlaubt Ihnen die Geschäftsleitung nicht, mit nicht amtlichen Ermittlungen zu kooperieren.«
»Es könnte zu geheimen Absprachen kommen«, sagte er nickend. »Außerdem wären da noch die rechtlichen Risiken. Ich habe leider nicht das Glück, so gut abgesichert zu sein, wie das die Polizei ist. Sollten in Zusammenhang mit meinen Ermittlungen irgendwelche Aufzeichnungen und Schlussfolgerungen an die Öffentlichkeit dringen, hätte ich möglicherweise mit einer Zivilklage zu rechnen.«
Ich überlegte eine Weile, wie ich die Sache anpacken sollte. Es schien, als verschwiege mir Szatmari etwas – etwas, was sich möglicherweise in dieser Akte befand. Und ich hatte den
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