Harry Bosch 15 - Neun Drachen
die Art von Frage, die ich stelle, wenn ich merke, dass mir jemand etwas verschweigt, das …«
»Wie bitte? Was denken Sie sich eigentlich?«
»… für meine Ermittlungen hilfreich sein könnte.«
»Ich verschweige Ihnen nichts! Ich kenne diesen Mann nicht. Ich weiß nicht, wie er heißt, und ich habe ihn noch nie gesehen! Das ist die Wahrheit!«
Lis Gesicht verfärbte sich. Bosch wartete einen Moment und fuhr dann ruhig fort:
»Möglicherweise sagen Sie sogar die Wahrheit. Vielleicht kennen Sie seinen Namen tatsächlich nicht, und vielleicht haben Sie ihn noch nie gesehen. Aber Sie wissen, wer er ist, Robert. Sie wissen, Ihr Vater hat Schutzgeld gezahlt. Sie vielleicht auch. Wenn Sie glauben, es könnte gefährlich für Sie werden, uns davon zu erzählen, dann können wir Sie schützen.«
»Auf jeden Fall«, fiel Chu mit ein.
Li schüttelte den Kopf und lächelte, als könne er nicht glauben, in was er da hineingeraten war. Er begann, schwer zu atmen.
»Mein Vater ist gerade gestorben – er wurde ermordet. Können Sie mich nicht einfach in Ruhe lassen? Warum muss ich mir das alles gefallen lassen? Auch ich bin hier ein Opfer.«
»Wir täten nichts lieber, als Sie in Frieden zu lassen, Robert«, sagte Bosch. »Aber wenn wir die Leute nicht finden, die für den Tod Ihres Vaters verantwortlich sind, dann findet sie niemand. Und das wollen Sie doch nicht, oder?«
Li schien sich wieder im Griff zu haben und schüttelte den Kopf.
»Also«, fuhr Bosch fort. »Wir haben hier eine unterzeichnete Aussage von Ihnen. Alles, was Sie uns von jetzt an sagen, bleibt unter uns. Niemand wird erfahren, was Sie uns mitteilen.«
Bosch streckte die Hand aus und tippte mit dem Finger auf den Ausdruck. Li hielt ihn immer noch in den Händen.
»Die DVD , die sich im Aufnahmegerät des Getränkemarkts befand, hat der Mörder Ihres Vaters entfernt, aber zwei alte DVD s hat er zurückgelassen. Auf einer von ihnen war dieser Mann zu sehen. Er hat genau eine Woche vor dem Mord, am gleichen Wochentag und zur gleichen Uhrzeit, Geld von Ihrem Vater kassiert. Ihr Vater hat ihm zweihundertsechzehn Dollar gegeben. Der Mann gehört zu einer Triade, und ich glaube, das wissen Sie. Sie müssen uns helfen, Robert. Sonst gibt es nämlich niemanden, der das kann.«
Bosch wartete. Li legte den Ausdruck auf den Schreibtisch und rieb seine verschwitzten Handflächen an den Beinen seiner Jeans.
»Also schön, ja, mein Vater hat an die Triade Schutzgeld gezahlt«, sagte er.
Bosch atmete langsam. Sie hatten gerade einen wichtigen Fortschritt gemacht. Er wollte Li am Reden halten.
»Seit wann?«, fragte er.
»Keine Ahnung, sein ganzes Leben lang – beziehungsweise mein ganzes Leben lang. Es war etwas, was er immer getan hat. Für ihn gehörte es einfach zum Chinese-Sein dazu. Man zahlte.«
Bosch nickte.
»Danke, dass Sie uns das gesagt haben, Robert. Nun haben Sie uns gestern erzählt, dass das Geschäft wegen der Wirtschaftskrise und überhaupt nicht so besonders lief. Wissen Sie, ob Ihr Vater mit seinen Zahlungen in Rückstand geraten war?«
»Das weiß ich nicht, aber möglich wäre es. Jedenfalls hat er mir nichts darüber erzählt. In diesem Punkt waren wir unterschiedlicher Meinung.«
»Inwiefern?«
»Ich fand, er sollte nicht zahlen. Ich habe ihm immer wieder gesagt: Wir sind hier in Amerika, Pop, da brauchst du ihnen nichts zu zahlen.«
»Trotzdem hat er gezahlt.«
»Ja, jede Woche. Er war noch von der alten Schule.«
»Und Sie zahlen hier nicht?«
Li schüttelte den Kopf, aber sein Blick zuckte ganz kurz zur Seite. Ein untrüglicher Hinweis.
»Sie zahlen doch auch, oder?«
»Nein.«
»Robert, wir brauchen …«
»Ich zahle deshalb nicht, weil er für mich bezahlt hat. Und jetzt weiß ich nicht, wie es weitergehen wird.«
Bosch beugte sich vor.
»Heißt das, Ihr Vater hat für beide Geschäfte gezahlt?«
»Ja.«
Li hielt den Blick gesenkt. Er rieb wieder die Handflächen an seinen Hosenbeinen.
»Die doppelte Zahlung – einhundertacht mal zwei – war für beide Geschäfte.«
»So ist es. Letzte Woche.«
Li nickte, und Bosch glaubte, Tränen in seine Augen steigen zu sehen. Er wusste, die nächste Frage war die wichtigste.
»Und was war diese Woche los?«
»Das weiß ich nicht.«
»Aber Sie können es sich denken, oder, Robert?«
Er nickte wieder.
»Beide Geschäfte machen Verlust. Wir haben zum falschen Zeitpunkt expandiert – unmittelbar vor der Krise. Die Banken erhalten von der Regierung
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